Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA), Verleger, Edition Critic

 

Im September 2020 wollte der damalige Minister für Öffentliche Sicherheit im Kabinett V von Benjamin Netanyahu, Amir Ohana, sich von einem juristischen Experten Rat geben lassen, wie man die Demonstrationen gegen die antidemokratische, medizinisch irrationale und gesundheitsgefährdende Coronapolitik der israelischen Regierung eindämmen könnte. Doch der damalige Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit hatte das schon zuvor ausgeschlossen, Israel sei eine Demokratie und Demonstrationen müssten erlaubt bleiben, egal ob ein Virus herumhüpft oder nicht.

Im Dezember 2022 wurde Amir Ohana der erste offen bekennende schwule Parlamentspräsident in Israel. Doch er hat ein problematisches Verhältnis zur Meinungs- und Versammlungsfreiheit und er hat den weiblichen Körper in frauenverachtender Manier als bloßes menschliches Reagenzglas benutzt und mit seinem Partner zwei Kinder aus Leihmutterschaft herstellen lassen.

Jedenfalls hatte Ohana im September 2020 einen Experten mitgebracht, der auf dem Flur wartete, er wollte ihn an der Sitzung des “Corona”-Kabinetts teilnehmen lassen als juristischer Berater. Doch Mandelblit verweigerte das. So blieb der Experte draußen auf dem Flur stehen und ging nach Hause. Wer ist dieser Experte? Es handelt sich um den Juristen Aviad Bakshi. Darauf weist ein Text des Journalisten Nettanel Slyomovics vom 11. März 2021 in Haaretz hin.

Screenshot, https://www.haaretz.com/israel-news/2021-03-11/ty-article-magazine/.highlight/the-u-s-billionaires-secretly-funding-the-right-wing-effort-to-reshape-israel/0000017f-e90c-da9b-a1ff-ed6f5dd30000 (05.02.2023)

Bakshi erlangt seit Januar 2023 massive öffentliche Aufmerksamkeit im Zuge der Massenproteste gegen die geplante Justizreform in Israel. Dabei sind auch gestern wieder am fünften Wochenende nacheinander 60.000 Demonstrant*innen in Tel Aviv auf die Straße gegangen – in einem Land mit neun Millionen Einwohner*innen, das entspräche einer Mega-Demo in Deutschland mit 540.000 Leuten in Berlin oder Hamburg. Es waren sogar schon 100.000 Demonstrant*innen in Tel Aviv in Zuge dieser monatelangen Massenproteste auf der Straße, dazu auch in anderen Städten wie in Haifa oder Jerusalem.

Ein Kernpunkt dabei ist die geplante Klausel, die es dem Parlament erlaubt, Urteile des Obersten Gerichtshofs zu überstimmen. Das wäre das Ende der Gewaltenteilung. Es gäbe keine Instanz, die Menschen- und Grundrechte mehr schützen könnte. Israel hat keine Verfassung und nur eine Kammer, die Knesset, keinen Bundesrat oder Senat/Repräsentantenhaus und Regierung wie in den USA. Seit vielen Jahren ist der extremen Rechten der Oberste Gerichtshof ein Dorn im Auge.

Der Gesetzesentwurf wurde jedoch nicht vom Justizminister Yariv Levin verfasst, sondern von einer Nichtregierungsorganisation (NGO) mit dem Namen Kohelet Policy Forum. Aviad Bakshi ist der Verfasser dieses Plans, das Oberste Gericht seiner Unabhängigkeit zu berauben.

Das für mich auch persönlich Schockierende ist nun Folgendes: Ich habe Aviad Bakshi, mit dem ich nie Kontakt hatte, in dem Band “Der israelische Nationalstaat”, herausgegeben von Fania Oz-Salzberger und Yedidia Z. Stern, im Jahr 2017 mit einem Kollegen übersetzt und im Verlag Edition Critic publiziert. In den biographischen Angaben zu den Autor*innen erwähnte ich sogar:

Aviad Bakshi ist Direktor der Rechtsabteilung am Kohelet Politik Forum sowie Dozent am Ono Academic College und an der Bar-Ilan Universität. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen Einwanderungsrecht, Sprachenrechte, kulturelle und nationale Rechte sowie Gewaltenteilung.

Vor dem Hintergrund, dass Bakshi jetzt mit dem Kohelet Politik Forum die Gewaltenteilung de facto aushebeln möchte, bekommt das einen dramatischen Drive. Ich hatte in meiner Editorischen Vorbemerkung zu dem Band meine Kritik an der Neuen Rechten betont, aber selbst vollkommen übersehen, dass mit Bakshi ein solcher neu-rechter Agitator mit dabei ist. Ich schrieb im Januar 2017:

Die vorliegende Übersetzung des von Fania Oz-Salzberger und Yedidia Z. Stern edierten Bandes Der israelische Nationalstaat ist eine vehemente, differenzierte, wissenschaftliche Grundlegung des Zionismus und des jüdischen und demokratischen Staates Israel. Die sechzehn Autorinnen und Autoren sind alle Israelis und bieten einem deutschsprachigen Publikum Originaleinblicke in derzeitige Debatten in Israel und über Israel. Im Unterschied zu vielen Pub­li­kat­ionen in deutscher Sprache zu Israel ist dieser Band wirklich an dem interessiert, was in Israel passiert, wie sich der Zionismus entwickelt hat, welche Gegenkräfte es gab und gibt, und wie die Zukunft des jüdischen Staates aussehen könnte. Namentlich der philosophische Beitrag von Shira Wolosky in Kapitel 4 über Levinas und Habermas, das philosophische Hauptstück dieses Buch­es, könnte eine breite Debatte über Universalismus und Partikularismus anstoßen. Wolosky stellt Emmanuel Levinas‘ Verteidigung des Partikularismus in den Kontext seiner frühzeitigen Kritik an Heidegger (einem sein­er Lehrer), dem deutschen Nationalsozialismus, Hitlers sowie – das ist das Frappierende – am Universalismus.

Damit spannt Levinas einen Bogen von Plato über Heidegger hin zu Habermas, die jeweils viel näher zum nazistischen Willen des Einebnens und Auslöschens von Differenz stünden, als das antifaschistische Selbsteinschätzungen – wie bei Habermas – vermuten ließen. Selbst viele sich eher als pro-israelisch betrachtenden Philosoph*innen, Forscher*innen oder Aktivist*innen haben sich hierzulande kaum mit den Schattenseiten gerade des Universalismus beschäftigt.

Das hat insofern allerdings in der Tat einen Grund, als Antikosmopolitismus und Antiuniversalismus Urständ feiern und der Rechtsextremismus und die Neue Rechte in ganz Europa und den USA eine sehr große Gefahr darstellen, was wiederum auch nicht unerhebliche Teile der „Israelsolidarität“ betrifft, die diese Gefahr nicht nur nicht sieht, sondern zuweilen ein aktiver Teil dieser rechten Szene (geworden) ist. Wahrlich dialektisch zu denken hieße wohl, den Partikularismus und dezidierten – mit Levinas argumentierenden, antifaschistischen und zionistischen – Antiuniversalismus des jüdischen Staates zu erkennen und zu verteidigen, aber gleichzeitig die anti­universalistische, anti­kosmopolitische, reaktionäre, nationalistische Rech­te und Linke wie den Mainstream in Deutschland und weiten Teilen Euro­pas, Amerikas und Russlands zu attackieren, und das massiv.

Mit einem US-Präsidenten Trump als „Freund“ – manche „Marxisten“ sehen in ihm gar Hegels „List der Vernunft“, manche Juden und gewisse Israelis (wie der israelische Innenminister Arye Dery) die Ankunft des „Messias“ und eine große amerikanisch-jüdische NGO (das Simon Wiesenthal Center, repräsentiert durch seinen Gründer und Vorsitzenden Rabbi Marvin Hier) betete für Trump auf dessen Inauguration – und der beschriebenen Gefahr der Einstaatenlösung braucht Israel seriöse, liberale, linke und demokratische Stimmen. Für die israelische Soziologin Eva Illouz, die sich an Sigmund Freuds Analyse des Unheimlichen anlehnt, indiziert die positive Reaktion auf Trump ein „Erdbeben“ in der „jüdischen Welt“.[1] Hatten Juden bislang gegen Antisemitismus und für Menschenrechte gekämpft, so stehen sie nun, so Illouz, angesichts von Trump in nicht geringen Teilen Seite an Seite mit antisemitischen Positionen und einer Unzahl weiterer auch für die Demokratie und die Menschenrechte (für alle Bewohner*innen) in Israel gefährlichen Gruppen, Personen und Tendenzen.

Das Kohelet Policy Forum wurde 2012 vom Mathematiker und Computerexperten Moshe Koppel gegründet. Koppel ist Professor für Computerwissenschaften an der Bar-Ilan Universität. Koppel stammt aus New York City und machte 1980 Aliyah und ging nach Israel.

Screenshot, https://www.haaretz.com/israel-news/2021-03-11/ty-article-magazine/.highlight/the-u-s-billionaires-secretly-funding-the-right-wing-effort-to-reshape-israel/0000017f-e90c-da9b-a1ff-ed6f5dd30000 (05.02.2023)

Zu den Hauptsponsoren des Kohelet Policy Forums gehören die beiden Multimilliardäre Jeff Yass und Arthur Dantchik. 1987 haben sie mit vier Studienfreunden vom Binghampton College in upstate New York die Firma Susquehanna International Group gegründet. Sie spielten Karten, vor allem Poker, und merken in Las Vegas, dass man damit auch an der Wall Street Geld, richtig viel Geld machen kann.

Screenshot, https://www.haaretz.com/israel-news/2021-03-11/ty-article-magazine/.highlight/the-u-s-billionaires-secretly-funding-the-right-wing-effort-to-reshape-israel/0000017f-e90c-da9b-a1ff-ed6f5dd30000 (05.02.2023)

Das Vermögen Susquehanna International Group wird von Forbes auf ca. 80 Milliarden US-$ geschätzt wird, die Anlagen, die sie verwalten, hatten 2018 einen Wert von 1,5 Billionen US-$. Der Börsencrash vom Oktober 1987 war wundervoll für die Firma, sie prosperierten und hatten 1988 bereits ein Vermögen von 30 Millionen US-Dollar. Entgegen Trump haben Yass und Dantchik keine Profilsucht, sie agieren im Hintergrund. Yass wird am 5. Februar 2023 auf Platz 38 der reichsten Menschen geführt, mit einem Vermögen von 38 Milliarden US-Dollar.

Zuletzt kamen Yass und Dantchik in die Schlagzeilen, unter anderem wegen ihrer Unterstützung von rechtslibertären Politikern in den USA, wie Haaretz berichtet:

Susquehanna International Group was based in Bala Cynwyd, an affluent suburb of Philadelphia. The choice to locate far from Wall Street exemplified their powerful desire for secrecy. “Stealthy and mysterious” is how Philadelphia magazine described the firm. Indeed, very little has been written about the pair of partners, who make a point of avoiding the limelight. As it happens, however, during the past two months, they found themselves in the headlines. Twice. In one case it was in a flattering business connection, relating to the immense profit they made from a small investment a decade earlier. The millions they gave a Chinese entrepreneur to invent the TikTok app are now worth $15 billion.

Neither Yass nor Dantchik are household names in Israel, or in the U.S., for that matter – and not by chance. The two billionaires are strictly low-profile, even though they are among the biggest donors to the Republican Party, notably its Trumpian wing.

The second occasion was less favorable. It occurred in the wake of the attempted coup at the Capitol on January 6. The riots sparked criticism of Donald Trump’s loyalists in Congress, particularly Senators Ted Cruz and Josh Hawley. Afterward, the criticism was extended to Trumpist donors, especially Yass, who is ranked sixth on the list compiled by Opensecrets.org of the major donors to all Republican candidates in 2020. Four years earlier he was the biggest donor to the libertarian candidate for president of the United States, Gary Johnson – Trump wasn’t enough of a libertarian for him.

Diese amerikanisch-jüdischen und israelischen Kreise sind politisch extrem rechts. Sie haben wie das Kohelet Policy Forum das umstrittene Nationalstaatsgesetz in Israel von 2018 mit formuliert, sind verbunden mit dem Tikvah Fund aus den USA, der wiederum im rechten und antisemitischen ungarischen Präsidenten Victor Orbán einen großen Anhänger hat, wie ein Treffen mit dem Vertreter des Tikvah Funds aus Israel mit Orbán zeigt, worauf Dr. Debra Shushan auf JStreet hinweist:

Screenshot, https://twitter.com/PM_ViktorOrban/status/1616091547371438080 (05.022023)

Shushan geht auf die Pro-Siedlungs Politik des Kohelet Forums und seiner Verbündeten wie dem Shilot Forum ein, das entgegen dem ursprünglichen Zionismus von 1948 und dem Völkerrecht beweisen möchte, dass Siedlungen auf palästinensischem Gebiet wie dem Westjordanland legal und legitim seien.

Screenshot, https://jstreet.org/shushan-street-meet-the-israeli-organization-behind-the-legislation-to-subvert-israeli-democracy-and-the-american-billionaires-that-fund-it/ (05.02.2023)

Darüber hinaus basiert das Kohelet Forum auf der Extremform des neoliberalen Kapitalismus. Staatliche Eingriffe, abgesehen von Behinderungen von Demonstrationen zum Beispiel!, sind Tabu, selbst systemimmanente Zuckerstückchen wie wohlfahrtsstaatliche Regulierungen werden abgelehnt. Der “freie” Mark soll bestimmen, also survival of the fittest. Friss den Kapitalismus oder stirb.

Da werden sich die Gründerinnen und Gründer des jüdischen und demokratischen Staates von 1948, die häufig Sozialisten waren, im Grabe umdrehen.

Ein Text in Haaretz von Anshel Pfeffer vom 3. Februar 2023 sieht die dramatische Bedeutung von Yass und Dantchik und meint, dass die beiden als einflussreichste Juden Amerikas in die Geschichte eingehen könnten, wenn diese Reform des Justizsystems, das einer Zerstörung der Gewaltenteilung gleichkommt, durchgeht.

Screenshot, https://www.haaretz.com/israel-news/2023-02-03/ty-article/.premium/can-u-s-liberal-jews-change-israeli-politics-right-wing-jews-know-the-answer/00000186-124b-d559-adee-527b79000000 (05.02.2023)

Dabei hat Pfeffer die lange Vorarbeit der Neuen Rechten im Blick:

The plans of the Netanyahu government to drastically weaken the Supreme Court and effectively obliterate judicial oversight were authored by the Kohelet Policy Forum. This conservative think tank was founded by the American-born Moshe Koppel and heavily funded by American-Jewish libertarian billionaires Jeff Yass and Arthur Dantchik.

Kohelet didn’t invent the campaign against the Israeli legal system. Right-wing and religious politicians have been railing against the courts for decades. But it was Kohelet’s ruthlessly effective lobbying, the detailed blueprints for the court’s evisceration that they prepared and the placing of their people in strategic locations in Israel’s political structure that laid the groundwork for the lightning assault on Israeli democracy we have been seeing since the new government came to power five weeks ago.

Die immer noch konservative Jerusalem Post hat sich gegen die Kritik am Kohelet Forum verwahrt und dem Senior Fellow beim Kohelet Policy Forum David Weinberg Platz für seine Apologie gegeben, ohne einen einzigen Kritikpunkt an der extrem rechten und turbokapitalistischen, den Zionismus beschädigenden Pro-Siedler, Anti-Gewaltenteilung-Ideologie von Kohelet zu entkräften.

In einem Video zeigt Kohelet sein Unverständnis einer unabhängigen Gerichtsbarkeit. Beispielhaft regen sich die Macher*innen darüber auf, dass der Oberste Gerichtshof gegen Off-Shore Anlagen zur Gasgewinnung, gegen Ausnahmeregelungen der ultraorthodoxen Gemeinschaft vom Militärdienst, zuungunsten des freien Marktes oder allgemeiner gegen religiösen Extremismus geurteilt habe.

Schließlich habe ich in dem Buch “Der israelische Nationalstaat” auch einen Beitrag von Gadi Taub publiziert, Taub ist ebenso (mittlerweile) ein extrem rechter Akteur.

Screenshot, https://www.972mag.com/new-right-jerusalem-conservative-conference/ (05.02.2023)

Das Magazin 972 berichtet:

I wrote several stories for Haaretz Magazine back when Golden was its editor; he was always kind to me, as was Taub when we ran into each other at a cafe after I wrote a piece attacking him. Nowadays, their paranoid style makes me uneasy. The two belong to a small yet influential group of high-profile “former leftists,” which includes Haaretz’s literary editor, Benny Ziffer, who has become an avid Netanyahu supporter, author Irit Linur, who hosts a popular talk radio show on IDF Radio (and is also a speaker at the conference), and the libertarian attorney Ari Shamay. (…)

Taken together, they introduce a certain sense of hipness, something strictly Tel Avivian, which separates the new right and the old one. And like their American counterparts, the use of irony and the shattering of liberal taboos are their main rhetorical tools. When Taub hosted Linur on his podcast, she opened by telling their audience she is speaking from her kitchen, “because this is where women belong,” a half-serious slight at the way so-called “woke” Israeli liberals see Linur. Taub, for his part, described how much he enjoyed the backlash to one of his tweets, which stated “You can’t solve the Palestinian problem because the Palestinians are the problem.”

But now, speaking before hundreds at the conference, Taub casts aside the irony and speaks directly: “The struggle now is not over the future of Judea and Samaria [the Israeli term for the occupied West Bank], but rather between nationalism and a global, post-national liberal elite that wants us governed by international treaties,” Taub tells the audience. “Being a conservative is being nationalist.”

In der rechten, kostenlosen, aber am meisten gelesenen Boulevard-Tageszeitung Israel Hayom wird eindeutig zum Ausdruck gebracht, was die Neue Rechte so extrem nervt – die Gleichheit der Menschen und damit Minderheitenrechte:

The defenders of the court ignore this 800-pound gorilla in the room: In the name of a passionate defense of minority rights, the court has abrogated its responsibility to the will of the majority.

Das liest sich wie ein Pamphlet der AfD oder von Trump.

Das ist der Hintergrund, vor dem die ach-so-pro-israelische Szene in Deutschland und den USA beleuchtet werden muss.

Es ist mir persönlich äußerst unangenehm, Leute wie Bakshi und Taub vor gerade mal sechs Jahren in diesem Sammelband von Oz-Salzberger und Stern übersetzt und publiziert zu haben, auch wenn ich mich schon 2017 klar und scharf gegen alle Rechten in Israel, den USA und gegen Netanyahu gewandt habe.

Screenshot, https://www.jpost.com/opinion/an-army-of-nine-million-644213 (05.02.2023)

Wer sich hinter die Konservativen, Neuen Rechten, Religiösen und Rechtsextremen stellt, stellt sich gegen den Zionismus, der ein vielfältiges und demokratisches Israel meinte, von Anbeginn. Wer das nicht will, ist kein Zionist, sondern ein ethnischer Rassist und Nationalist.

Seit 1948 galt es, gleiche Rechte für alle Menschen im Staat Israel zu gewährleisten. So hatte ich auch den Duktus von Fania Oz-Salzberger und Yedidia Z. Stern interpretiert. Stern jedoch hatte während der Coronapandemie sein autoritäres Gesicht gezeigt und die Israelis dazu aufgefordert, Bürger*innen, die sich nicht an die Maßnahmen halten würden, öffentlich an den Pranger zu stellen und zu beschämen. In einem publizistischen Tobsuchtsanfall lallte Stern in der Jerusalem Post – anders kann man das nicht bezeichnen – von einer “Armee von neun Millionen, um Corona zu bekämpfen”. Ich habe das in der Times of Israel (Blogs) scharf kritisiert.

Screenshot, https://blogs.timesofisrael.com/hope-is-in-the-air-the-israeli-common-sense-model-for-corona-in-context/ (05.02.2023)

Ironischerweise kann er sich da mit Aviad Bakshi ideologisch treffen, der ja wie eingangs zitiert, auch Wege suchte, um demokratischen Protest gegen die irrationale und wissenschaftsfreie Coronapolitik von Netanyahu im Herbst 2020 zu unterbinden. Jetzt spricht sich Stern vorsichtig gegen die Justizreform aus, aber sein Wutausbruch 2020 gegen die demokratische Kritik an der Coronapolitik mag viel eher eine Nähe zu Bakshi indizieren, als ihm lieb ist. Stern ist mittlerweile Präsident des Jewish People Policy Institute, heute, am Sonntag, den 5. Februar 2023 startet das Jewish People’s Institute eine Kampagne für einen Kompriss, für Dialog und gegen einen – tatsächlich sehen sie diese Gefahr! – “Bürgerkrieg” (“The Jewish People Policy Institute (JPPI) will launch a large campaign on Sunday calling for Israel’s leaders to reach a compromise on the government’s planned judicial reform under the slogan “No to coercion and violence, yes to dialogue,” the Jerusalem Post learned on Thursday”).

Screenshot, https://www.jpost.com/israel-news/article-730429 (05.02.2023)

Eine zionistische Politik unterstützt die evidenzbasierte Medizin, wendet sich gegen die aggressive und antidemokratische Coronapolitik der Jahre 2020 und 2021, gegen das Verkaufen der Gesundheitsdaten der ganzen geimpften Bevölkerung an Pfizer/BioNTech und gegen die geplante Zerstörung der Gewaltenteilung in Israel.

Doch die Neue Rechte hat mit dem Kohelet Policy Forum ein enorm einflussreiches Instrument, um die Politik in Israel mitzubestimmen. Finanziert von extrem rechten Amerikanern, die de facto somit dem Zionismus schaden wie wenige amerikanische Juden in den letzten Jahrzehnten.

Ben-Gvir war jahrzehntelang ein Anhänger des jüdischen Rechtsterroristen und Rassisten Meir Kahane. Ben-Gvir ist wie Smotrich oder Moaz religiös-reaktionär, homophob und aggressiv.

Screemsjpt. https://www.bbc.com/news/world-middle-east-63780509 (05.02.2023)

Ben-Gvir möchte mit Besuchen auf dem Tempelberg provozieren, egal wie absurd es ist, dass Muslime durchdrehen, wenn dort ein Nicht-Muslim betet. Religion macht Menschen sehr schnell fanatisch, nicht nur Muslime, auch wenn suicide bombing eine besonders krasse und mörderische islamistische Spezialität ist.

Smotrich hat gar kein Problem damit, als Faschist bezeichnet zu werden, da es seinen rechtsextremen Wählern egal sei, sie teilen seine Position.

Screenshot, https://www.timesofisrael.com/smotrich-my-voters-dont-care-im-a-homophobic-fascist-but-my-word-is-my-word/ (05.02.2023)

Wie Meirav Arlosoroff in Haaretz zeigt, ist ein Papier des Kohelet Forums absurd, das beweisen möchte, dass Israel eine völlige Ausnahme ist im Kreise der entwickelten kapitalistischen OECD-Länder, was die Auswahl der höchsten Richter betrifft. Doch de facto, so Arlosoroff, werden in 24 von 36 untersuchten Ländern die höchsten Richterposten sehr wohl von der Judikative selbst vorgeschlagen, auch wenn im Entscheidungsprozess in 31 von 36 Ländern die Parlamente beteiligt sind, nur in Israel nicht. Wobei man sich darüber klar sein muss, dass gerade das Involviertsein der Parlamente eine extreme Abhängigkeit der Richter*innen bedeuten kann. Wer würde ernsthaft die völlige Unabhängigkeit von Merkel und der CDU von Seiten des aktuellen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe und ehemaligen Buddies von Merkel in der CDU-Bundestagsfraktion angesichts der katastrophalen Rechtsprechung zur Coronapolitik behaupten?

Screenshot, https://www.haaretz.com/israel-news/2023-01-22/ty-article/.premium/israels-most-influential-right-wing-think-tank-puts-agenda-over-data/00000185-d8d1-d3a8-a3cf-dff15c3f0000 (05.02.2023)

Ein sehr wichtiger Aspekt ist, dass Israel keine Verfassung hat – auch wenn sie, wie angedeutet, in Deutschland (“Grundgesetz”) in Zeiten der größten Verfassungskrise seit 1949 auch nicht wirklich was bedeutete. Doch in der Argumentation gegen das Kohelet Papier von Vertretern des Israel Democracy Institutes, das früher wegweisend war, bis Kohelet die rechte politische Kultur in Israel pushte und heute maßgeblich die Politik beeinflusst, wenn nicht mitentscheidet, heißt es, so Arlosoroff:

Prof. Amichai Cohen, Dr. Guy Luria and Dr. Nadiv Mordechai from the Israeli Democracy Institute devoted an entire analysis of the Kohelet Forum’s study. They ask how it is possible to conduct an international comparison of the judicial selection process, and focus only on the question of whether the public’s elected representatives do the selecting, while ignoring the contexts surrounding the comparison. Thus, for example, the fact that the absolute majority of OECD countries have a constitution and a declaration of human rights which the elected officials have almost no ability to harm.

Letztlich fordern die Publizisten Yossi Klein Halevi, Matti Friedman und Daniel Goris in einem offenen Brief die Freundinnen und Freunde Israels in der jüdischen Community in den USA auf, sich lautstark gegen die geplante Justizreform in Israel zu wenden. Sie betonen, dass sie auch weiterhin mit aller Kraft Israel gegen Verleumdungen und Hetze in Schutz nehmen werden, womit sie sicherlich unter anderem die BDS-Bewegung meinen. Doch hier und heute sind sie vor allem in großer Sorge um Israel:

Screenshot, https://www.timesofisrael.com/an-open-letter-to-israels-friends-in-north-america/ (05.02.2023)

Today, though, protecting Israel also means defending it from a political leadership that is undermining our society’s cohesion and its democratic ethos, the foundations of the Israeli success story.

Man sieht allerdings auch hier einen offenbar in Israel inflationär einsetzbaren Begriff von Krieg, dabei ist Israel ja an tatsächlichen militärischen Kriegen nicht gerade arm. Doch es ist klar, was sie meinen:

We and our families, along with many tens of thousands of other Israelis, are in the streets every week demanding the government end its war against our democratic values and institutions. We need your voice to help us preserve Israel as a state both Jewish and democratic.

Wer also Israel verteidigen will, muss die aktuelle Regierung mit aller Kraft bekämpfen. Wer schweigt, stimmt zu.

Dabei ist Israel nur ein Puzzleteil im weltweiten neu-rechten Angriff auf Vielfalt, Kapitalismuskritik, Nationalismuskritik, Antifaschismus, auf Demokratie, Feminismus, soziale Gerechtigkeit, Gesellschaftskritik allgemein, LGBTQ+ und vieles mehr. Die Mischung aus neoliberalem Hedgefonds-Kapitalismus, Biopolitik wie zu Coronazeiten und in Zukunft im digitalen Überwachungskapitalismus, Autoritarismus und die Liebe zu autokratischem Herrschen, der Kampf gegen Gewaltenteilung ist weltweit ein riesiges Problem, Israel ist dabei nicht alleine.

Wer den Zionismus und Israel liebt, kämpft gegen die Besatzung des Westjordanlandes und gegen die Rassisten in der aktuellen israelischen Regierung wie ihre Wählerschaft. Das tun die Hunderttausenden, die seit Wochen auf die Straße gehen. Viele linke Zionistinnen und Zionisten, aber auch konservative sind darunter.

Wer den Zionismus und Israel liebt, kämpft gegen Netanyahu und seine rechtsextreme Regierung, die größte Gefahr, der sich Israel von innen heraus seit 1948 gegenübersieht.

 

 

[1] Eva Illouz, „An Earthquake in the Jewish World“, Haaretz, 01. Januar 2017.