„Trizonesien“ revisited, oder 60 Jahre sekundärer Antisemitismus in Köln

Von Dr. Clemens Heni, Yale Initiative for the Interdisciplinary Study of Antisemitism (YIISA), Yale University

60 Jahre Bundesrepublik Deutschland, das ist für viele ein runder Geburtstag und Anlass zurück zu schauen. So auch in Köln zum Karneval. Extra wird dieses Jahr ein Wagen des Kölner Karneval von 1949 nachgebaut – „Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien“. Dieser berühmte bzw. bekannte und von den damaligen Deutschen gern gesungene Marsch-Foxtrott „Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien“ hat es in sich. Nachdem es von 1940 bis 1948 keinen Karneval in Köln gegeben hatte, gab es 1949 eine „erweiterte Kappenfahrt“, was noch keinen Rosenmontagszug darstellte: „Meer sin widder do un dun war meer künne“.

Während der Wagen leichtfüßige Insulaner zeigt, welche irgendwie lustig dahinleben, Würstchen kochen, fischen und musizieren, tanzten Karnevalisten 1949, verkleidet als „Eingeborene“, mit dunkler Farbe auf dem Körper, auf den Straßen Kölns umher. Der WDR hat dazu Filmmaterial. Der Song jedoch wird auch heute noch offenbar gern goutiert. Was ist der Inhalt?

Vers 1 „Mein lieber Freund, mein lieber Freund, die alten Zeiten sind vorbei, ob man da lacht, ob man da weint, die Welt geht weiter, eins, zwei, drei. Ein kleines Häuflein Diplomaten macht heut die große Politik, sie schaffen Zonen, ändern Staaten (…) Vers 3 Doch fremder Mann, damit du’s weißt, ein Trizonesier hat Humor, er hat Kultur, er hat auch Geist, darin macht keiner ihm was vor. Selbst Goethe stammt aus Trizonesien, Beethovens Wiege ist bekannt. Nein, sowas gibt’s nicht in Chinesien, darum sind wir auch stolz auf unser Land. Refrain: Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien, Hei-di-tschimmela- tschimmela-tschimela-tschimmela-bumm! Wir haben Mägdelein mit feurig wildem Wesien, Hei-di-tschimmela-tschimmela-tschimmela- tschimmela-bumm! Wir sind zwar keine Menschenfresser, doch wir küssen um so besser. Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien, Hei-di-tschimmela- tschimmela-tschimmela-tschimmela-bumm!“

Dieser Song wurde 1948/49 mitunter als Nationalhymne gespielt, etwa bei Sportveranstaltungen, und war der Hit des Karneval 1949 in Köln. Der Songtexter Klaus Berbuer, welcher schon vor 1945 im NS-Staat ‚Unterhaltung‘ gemacht hat, ist eine bekannte Person, ihm wurde vor einigen Jahren in Köln ein Denkmal aus Bronze gewidmet. Der Musikwissenschaftler Fred Ritzel hat vor einigen Jahren in der Zeitschrift Popular Music den Trizonesien Song seziert und stellt die Frage, ob es zu gewagt sei, in der „obskuren Fremdheit“ „Chinesiens“ eine Referenz auf die Juden sehen zu wollen. In der Tat: Der Antisemitismus scheint im Reden von „Chinesien“, das im Gegensatz zu „Trizonesien“ keine „Kultur“ und keinen „Geist“ kenne, unschwer wider. In dem Trizonesien-Song, der natürlich auf die westlichen Besatzungszonen damals anspielt, wird auch lamentiert, dass „Diplomaten“ einfach Staaten änderten und „Zonen“ schufen. Die Deutschen nicht als konkrete Täter, von denen noch Hunderttausende munter lebten, 1949, vielmehr als Opfer und Gegängelte solcher Diplomaten zu sehen, ist zentral. Ein solches Lied bzw. den dazugehörigen Wagen nun heute, munter-fröhlich, quietsch fidel lachend zu feiern, als Auftakt zur BRD, ist so schamlos wie bezeichnend. Das stolze Deutschland feiert sich heute, 2009. Der Auftakt im Jahr 1949 war ein Karnevalsumzug mit genau jenem schuldvergessenden, ja Schuld derealisierenden und projizierenden Song. Die Deutschen haben sich 1949 als „Kolonisierte“ arme Würstchen dargestellt, aber eben auch als Küsser und nicht als Menschenfresser.

Dabei war die vorübergehende Besatzung Deutschlands ja noch sehr zuvorkommend. Der Soziologe Helmuth Plessner hatte eine ganz andere, interessante Idee: verteilt die deutschen Landen an die Nachbarländer Dänemark, Frankreich, Holland etc. etc.

1949: Vier Jahre nach der Befreiung von Auschwitz, vier Jahre nach den Todesmärschen durch ungezählte Dörfer, Weiler und Städte im ‚Deutschen Reich‘, vier Jahre nach der Heimkehr der Polizeibataillonsmitglieder, die millionenfach Juden ‚aufspürten‘, zusammen trieben und erschossen, vier Jahre nach all diesem Unaussprechlichen mit seinen ganz konkreten deutschen Tätern und Täterinnen, natürlich auch solche aus der Domstadt, dichtet sich dieses Land ein solches Lied. Erinnerung an die präzedenzlosen Verbrechen der Shoah wird abgewehrt. Die Forschung nennt diesen Prozess ‚sekundärer Antisemitismus‘. Stolzdeutsch Beethoven, Goethe und das Küssen hervorzuheben und explizit zu behaupten, die Deutschen des Jahres 1949 seien keine „Menschenfresser“, ist infam und schlägt jedem überlebenden Juden eiskalt ins Gesicht, im Februar 1949. Eine stattliche Zahl der Zuschauer des Umzuges von 1949 in Köln wird sehr wohl am Holocaust beteiligt gewesen sein, oder am unfassbar brutalen Krieg „im Osten“ gegen die Sowjetunion, wo allein im damaligen Leningrad aufgrund der Blockade der Wehrmacht fast eine Million Menschen elendig verhungert ist. Das Wort ‚zynisch‘ ist gar nicht ausreichend, um diesen ach so lustigen Ausdruck „Wir sind zwar keine Menschenfresser“ zu bezeichnen. Und als ob das noch nicht reichte, kommt noch der koloniale Blick der Europäer hinzu, der ohnehin davon ausgeht, dass irgendwelche Insulaner in der Südsee Menschenfresser seien, während die deutschen Inselbewohner in Trizonesien gerade keine seien.

2009 wiederum wird all das nicht gebrochen, reflektiert und kritisiert, sondern geklatscht. Ein grandioser Auftakt zu 60 Jahre Bundesrepublik. Lernen aus der Geschichte sieht anders aus.