Wissenschaft und Publizistik als Kritik

Schlagwort: Gert Gröning

Zionismus, Israel und Naturschutz. Zum jüdischen Neujahrsfest der Bäume

Zuerst publiziert auf www.juedisch.at sowie auf SPME.org am 27.01.2008

Ein Schwerpunkt eines 2006 erschienenen Bandes über »Naturschutz und Demokratie« ist die Beziehung des Judentums zu Naturschutz. Mehrere kleinere Beiträge widmen sich diesem Sujet und vor allem ist im Anhang ein historisches Dokument über »Judentum und Naturschutz« aus dem Jahr 1932 erstmals wieder abgedruckt.

Die israelische Landschaftsarchitektin Tal Alon-Mozes geht auf naturschützerische Wurzeln vor der Staatsgründung Israels aus zionistischer Perspektive ein. Sie untersucht drei wichtige Topoi: Erstens den »Mythos von Palästina als Wüstenland«, zweitens den »Mythos, die Wüste zum Blühen zu bringen« und drittens jenen von der»Rückkehr zur Natur«.

Biblische als auch gegenwärtige Konzepte standen/stehen dabei in Konkurrenz. Insbesondere wurde Landwirtschaft gerade als Möglichkeit verstanden, Teil der Natur zu werden, ein moderner Gedanke. Als ein weiteres Beispiel führt sie die Idee Yehoshua Margolins (1877-1947) an, der dafür plädierte, Kindergärten innerhalb von Gärten einzurichten.

Margolin schrieb Bücher und Lehrpläne für Kindergärten bzw. Grundschulen für den Bereich “Naturstudien” und gründete das erste Hebräisch-Pädagogische Institut im Jahr 1932. Henning Eikenberg schließt daran an und berichtet von der Geschichte des Naturschutzes im Staat Israel. Es fällt auf, dass Naturschutz in Israel im Umweltministerium zu ca. 75% nicht vom Staatshaushalt, vielmehr aus Eintrittsgebühren und vor allem Spenden, nicht zuletzt der jüdischen Diaspora, finanziert wird.

Das korreliert mit der Genese des Naturschutzes, der sich bottom-up entwickelt hat und nicht vom Staat initiiert wurde. Wichtig ist z. B. die NGO Society for the Protection of Nature in Israel (SPNI), welche 35 Jahre vor Gründung eines eigenständigen Umweltministeriums (im Jahr 1988) gegründet wurde. Einer der Mitbegründer von SPNI war der Zionist Heinrich Mendelssohn (1910-2002). Er war u.a. in der Weimarer Republik Mitglied der zionistischen Studentenverbindung Kadimah und emigrierte 1933 nach Palästina.

Er war Zoologe und gründete die Tel Aviver Universität mit. Mendelssohn »gilt heute als einer der Gründungsväter des Naturschutzes in Israel«. Alois P. Hüttermann ergänzt dies mit einer kurzen Darstellung von Naturschutz im antiken Israel. Nach der Zerstörung des Tempels durch die Römer 70 n. Chr. waren die Juden in wenig fruchtbare Gebiete vertrieben worden. Üblicherweise war es auf engem Raum naheliegend, Kleinvieh zu halten, Schafe, Ziegen etc. Den Rabbinern jedoch war das Kahlfressen der Erde mit der Folge der Desertifikation namentlich durch das Weiden der Ziegen bewusst, weshalb beschlossen wurde, Juden das Halten von Kleinvieh zu verbieten.

So ist es demnach geschehen und die Verwüstung hat nicht eingesetzt, was Hüttermann als mögliche Abwendung der Desertifikation heutiger Zeiten vorschlägt (Beispiele Mauretanien, Iran, China).

Siegfried Lichtenstaedter: »Naturschutz und Judentum« (1932)

Im Anhang des Bandes ist der 48seitige Text Naturschutz und Judentum von Dr. Siegfried Lichtenstaedter aus dem Jahr 1932 abgedruckt. Es ist ein sehr bedeutsames Dokument des deutschen Naturschutzes und handelt sich im wesentlichen um einen Vortrag, den der Autor »im Rahmen der Lehrkurse der jüdischen Gemeinde in München am 4. März 1931 hielt«.

Die Ausgrenzung der Juden im Naturschutz seit 1933, der Holocaust und das Fortwirken der antijüdischen Naturschützer nach 1945 haben dazu geführt, dass dieses Dokument bis heute einfach ignoriert wurde.

Es ist Gert Gröning, Professor an der Universität der Künste in Berlin (UdK), Fachgebiet »Gartenkultur und Freiraumentwicklung«, und einer der Begründer kritischer Forschung zur Geschichte des Naturschutzes und der Freiraumentwicklung im Nationalsozialismus in der Bundesrepublik Deutschland, zu verdanken, dass es jetzt dem bewussten, ignoranten oder Juden im Naturschutz derealisierenden Vergessen entrissen wird.

Siegfried Lichtenstaedter, Jahrgang 1865, war von 1898 bis 1932 Beamter und auch als Publizist tätig. Von seinem Erstlingswerk Kultur und Humanität 1897, bis in die Weimarer Republik, z. B. 1926 mit Antisemitica, publizierte er wohl wegen dem Antisemitismus, der im Kaiserreich nicht weniger verbreitet war wie in der Weimarer Republik, häufig unter seinem türkischen Pseudonym »Dr. Mehemed Emin Efendi«.

Lichtenstaedter setzt in Naturschutz und Judentum damit ein, dass der Naturschutz noch nicht alt sei und der Yellowstonenationalpark in Nordamerika von 1872 der erste große Naturschutzpark ist. Der antik-römischen Aversion den Alpen gegenüber – »foeditas Alpium« – stünde heutige Naturliebe entgegen. Die ungemeine Ausbreitung von Steinbrüchen oder die Ausrottung ganzer Tierarten, wie der erst 1741 entdeckten Steller’schen Seekuh (»Borkentier«), die schon 1768 ausgerottet wurde und die Bedrohung von Pflanzen sind dem Verfasser Anlaß zuerst die institutionelle Genese des Naturschutzes zu untersuchen. Neben verschiedenen Gründungen von Organisationen erwähnt er z. B. bayerische Bestimmungen gegen »verunstaltende Reklame« oder Naturschutzgesetze des Mittelalters.

Jedoch gelte bis heute: »Die theoretische Begründung ist ungenügend«. Problematisch ist ohne Zweifel diesbezüglich sein Bezug auf den schweizerischen Naturforscher Paul Sarasin, der sich für den Schutz »bedrohte[r] Menschenrassen« einsetzte. Ähnlich verhält es sich mit seiner Forderung nach einem »linguistischen Naturschutz«, denn es steht doch in Frage, warum Sprache, also menschliche Kultur, dem Naturschutz unterliegen solle. Sehr interessant wird es, sobald Lichtenstaedter auf die jüdischen Gesetze zu sprechen kommt.

Das erste, welches er erwähnt und analysiert, ist zugleich das wichtigste: das Sabbatjahr. Während in der christlichen Vorstellung der siebte Tag lediglich als Ausruhen und Besinnen “auf Gott” verstanden wird, zeigt er wie universeller, pragmatischer und sinnvoller das jüdische Gesetz des siebten Jahres sich anhört:

“So ihr in das Land kommt, das ich euch gebe, so feiere das Land eine Feier des Ewigen. 6 Jahre besäe dein Feld und 6 Jahre beschneide deinen Weinstock und sammele seinen Ertrag ein. Aber im 7. Jahre sei eine Sabbatfeier für das Land, eine Feier des Ewigen; dein Feld sollst du nicht besäen und deinen Weinstock nicht beschneiden. Den Nachwuchs deiner Ernte sollst du nicht ernten und die Trauben deiner ungepflegten Weinstöcke sollst du nicht lesen; ein Feierjahr sei für das Land.’«

Lichtenstaedter kommentiert, dass es zu bezweifeln ist, »ob ein ähnliches Gesetz in irgend einer anderen Religion besteht oder bestand«. Er erwähnt, dass in den 1890er Jahren Geldsammlungen außerhalb Palästinas existierten, um jüdischen Siedlern das Sabbatjahr im Heiligen Land zu ermöglichen.

Es ist ein stolzes Judentum, das sich in Abgrenzung zu bloßem uneingeschränktem Wirtschaften nachvollziehbar so ausdrückt:

»Um wie viel höher steht unsere Thora als das Gewissen der sogenannten Kulturwelt!«

Er analysiert ein weiteres Gesetz aus dem Buch Mose, nachdem junge Vögel bzw. Eier, die mitsamt einem Nest herabgefallen sind, angeeignet werden können, die Vogelmutter jedoch solle frei gelassen werden. Darin handele es sich um einen Schutz der Gattung, denn die ausgewachsene Vogelmutter könne alsbald neue Eier legen, während die hinabgestürzten Jungen bzw. Eier ohnehin verloren seien:

»Wir haben es also hier mit nichts anderem als mit zoologischem Naturschutz zu tun – meines Wissens dem ersten derartigen Gesetze in der Religions- und Kulturgeschichte der Menschheit, soweit uns bekannt.«

Sodann geht er auf das Gesetz »Bal taschchith« ein, »Du sollst nichts ruinieren«, womit insbesondere militärische Belagerungen gemeint sind bzw. Eroberungen. Das nächste Gesetz, das »Vermischungsverbot« ist selbstredend abstrus, es bezeichnet u.a. das Verbot »Kleidung von verschiedenen Stoffgattungen (Wolle und Leinen)« zu tragen.

Auch Lichtenstaedter erscheint das unsinnig, wie die orthodoxe Position, nach welcher der im Jahr 1555 erlassene Codex »Schulchan Aruch« bis heute bestimmend sei. Weder so ein »Versteinerungsstandpunkt« noch ein den Naturschutz als unbedeutsam abwehrender »Verstümmelungsstandpunkt« der jüdischen Tradition gegenüber seien hilfreich.

Vielmehr gelte es ein »Zurück zur Thora« anzustreben, allerdings sieht Lichtenstaedter die Bedingungen für ein offensives Eintreten der engen Beziehung von Judentum und Naturschutz ganz realistisch – 1932 – in einem traurigen Licht:

»Dabei wollen wir durchaus nicht die Schwierigkeiten und Bedenken unterschätzen, die einer Führerrolle des Judentums naturgemäß entgegenstehen. Wie nun einmal die Verhältnisse sind, läge, wollten wir uns in den Vordergrund drängen, der Gedankengang sehr nahe: Wie? Das Judentum predigt den Naturschutz? Also gibt es nur eine Losung: Zerstören, was nur zerstört werden kann, verwüsten, was verwüstet werden kann, vernichten, was vernichtet werden kann!

Hier heißt es also, gewisse Zurückhaltung zu üben, mehr an engere, sittlich höhere Kreise als an die breitere Volksmasse, namentlich zu Zeiten, in denen sie der Verhetzung und Verblödung zugänglich ist, sich zu wenden. Aber das Wichtigste ist für uns überhaupt, dass wir selbst im Geiste unserer Religion handeln.«

Lichtenstaedter schließt seinen Vortrag, indem er sich ganz deutlich gegen die schon zu Weimarer Zeiten allzu laut hörbaren völkischen “Natur- und Heimatschützer” wendet und sagt:

»Mit absoluter Sicherheit darf man behaupten: Der weitverbreitete “moderne”, “patriotische” oder “völkische” Gedanke: “Nur das eigene Volk oder die eigene (anthropologische oder imaginäre, fingierte) Rasse ist wertvoll und daher absolut existenzberechtigt- steht in unversöhnlichem Widerspruche mit der jüdischen Sittenlehre.«

Die nicht-jüdischen, deutschen Naturschützer gingen wie fast alle ganz normalen Deutschen ab 1933 einen anderen Weg. Nicht nur im Naturschutz “fruchtete” die jahrelange Hetze gegen Juden, “Undeutsches” und Judentum.

»Am 25.6.1942 wurde Lichtenstaedter mit dem Transport II/9 von München nach Theresienstadt deportiert. Von den 50 Personen aus denen dieser Transport bestand, wurden 46 umgebracht, vier wurden befreit. Lichtenstaedter selber wurde am 6.12.1942 in Theresienstadt ermordet.«

Gert Gröning/Joachim Wolschke-Bulmahn (Hg.) (2006): Naturschutz und Demokratie !? Dokumentation der Beiträge zur Veranstaltung der Stiftung Naturschutzgeschichte und des Zentrums für Gartenkunst und Landschaftsarchitektur (CGL) der Leibniz Universität Hannover in Kooperation mit dem Institut für Geschichte und Theorie der Gestaltung (GTG) der Universität der Künste Berlin, München: Martin Meidenbauer.

 

Eine deutsche Liebe: Über die braunen Wurzeln der Grünen und die Lücken der Naturschutzforschung (mit Peter Bierl)

Eine deutsche Liebe: Über die braunen Wurzeln der Grünen und die Lücken der Naturschutzforschung (mit Peter Bierl), Konkret, 1/2008

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