Wissenschaft und Publizistik als Kritik

Schlagwort: Albrecht von Lucke

Von Corona zum kalten Winter – Trabbi und unbeleuchtete Innenstädte statt Maserati und Lippenstift: Blätter für deutsche und internationale staatsfetischistische Verzichts-Diktatur

Von Dr. phil. Clemens Heni, 01. September 2022

 

Das Monatsblatt der staatsfetischistischen, autoritären Gegenintellektuellen in der Bundesrepublik Deutschland, die „Blätter für deutsche und internationale Politik“, eine breit gelesene Postille des woken Mainstream, plädiert für die Verzichtsdiktatur und feiert den Ukraine-Krieg als historische Chance, endlich abends und nachts ohne jegliche Beleuchtung von Schaufenstern wie im 17. Jahrhundert bei Kerzenlicht zum Robert Koch-Institut (RKI) und dem Gesundheitsminister, ihren beiden Göttern, zu beten, dass Corona bitte, bitte Angst haben soll vor Dunkelheit und sie nachts keine Infektion fürchten müssen, wenn sie im dunklen Haus mit FFP-7 Maske im Gesicht und zwei Ersatzmasken zum Wechseln am linken und rechten Oberarm alleine dasitzen und versuchen, die ungesalzenen Spaghetti zu verdauen, ohne Koliken zu bekommen.

Die politische und kulturelle Elite möchte zurück in die DDR: Trabbi und unbeleuchtete Innenstädte statt Maserati und Lippenstift.

Die Kritische Theorie bekam kurz vor 1933 zu Recht Panik, als sie in einer sozialwissenschaftlich-empirischen Studie erforschte, wie tief das Ressentiment gegen Lippenstift, Individualität und Emanzipation gerade bei Arbeitern, NSDAP- wie SPD- und KPD-Anhängern verbreitet war.[i]

Ich habe bereits über den ZeroCovid-Totalitarismus der „blätter“ und von Jürgen Habermas berichtet, der den Antizionismus dieses Blättchens ergänzt. Jetzt also die Verzichtsdiktatur. Der „blätter“-Redakteur Albrecht von Lucke schreibt in der September 2022 Ausgabe:

Hier entpuppt sich Putins Krieg ironischerweise als eine historische Chance: Aufgrund der Verteuerung der Energie ist plötzlich möglich geworden, was jahrelang unmöglich schien – nämlich enorme Einsparpotenziale freizulegen, die auch ohne den russischen Angriffskrieg längst dringend geboten waren. Und zwar auf gleich drei Ebenen – erstens im öffentlichen Bereich, also bei Städten und Gemeinden, zweitens in Firmen und Betrieben, und drittens im ganz privaten, individuellen Verbrauch. Jeder Bereich ist für sich genommen wichtig, auch wenn speziell die Einsparung im Privaten bereits massivem parteipolitischen wie medialen Protest ausgesetzt ist. Als sich etwa der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann erdreistete, darauf hinzuweisen, dass nicht täglich eine Dusche erforderlich sei, sondern auch der gute alte Waschlappen zum Einsatz kommen könne, erntete er sofort massiven populistischen Protest, von „Bild“ über Wolfgang Kubicki bis hin zu Kevin Kühnert.

Eine bessere Steilvorlage für den Polemiker Wolfgang Pohrt hätte er gar nicht bringen können. Pohrt hätte geantwortet, dass dieses Land noch viel krasser als um 1980 herum in der alten BRD ist, endlich „der Vergangenheit wieder eine Zukunft“ geben möchte. Vom „Kirchentag“ zur protestantischen Verzichtsdiktatur, von Hausbesetzern zu Fridays for Future, vom „Winterhilfswerk“ zu Baerbock und den „blättern für deutschen und internationalen Irrsinn“ ist es nur ein minikleiner Zeitsprung – Wolfgang Pohrt hatte schon Anfang der 1980er Jahre die stolzdeutsche Verzichts-Ideologie von Albrecht von Lucke und vielen anderen im heutigen Mainstream decodiert:

Eine Zukunft für die Vergangenheit

Der Wiederaufbau ist erfolgreich abgeschlossen. Die Bundesrepublik hat ihr Wirtschaftswunder und ihr Fräuleinwunder, die Reisewelle und die Freßwelle gehabt, und nun hat sie auch eine Seele. Man hat nämlich bei der Jugend ein Herz entdeckt, und zwar ein deutsches, denn es ist tief zerrissen von den widerstreitenden Gefühlen Angst und Sehnsucht. Der wunde Ticker wurde zum Taktgeber für eine furiose Verbrüderung. Man braucht der Menge nur eine Gelegenheit zu geben, einen Kirchentag [oder ein Abo der blätter für deutsche und internationale Politik, CH] zum Beispiel, und schon liegen sich, kopflos vor Angst und von Sehnsucht verzehrt, Alt-Linke und Alt-Rechte, Grüne und Braune, Junge und Alte schier schluchzend in den Armen. Die Jugend, so stand es in der taz, sucht Lebensraum, und im Vertrauen darauf, daß sie ihn später woanders erobern wird, verzeiht man ihr vorläufig sogar besetzte Häuser. Man ließ die Instandbesetzer ins Fernsehprogramm, denn durch die barrikadenkämpferische Fassade dieser aufbauwütigen, zum Arbeitsdienst tendierenden Rebellion hindurch erkannte man eine gerade zur Heroine des deutschen Feminismus aufgestiegene Gestalt. Den Häuserkampf sah man als Winterhilfswerk mit anderen Mitteln, und in seinen Protagonisten witterte man, mit feiner Nase für den Stallgeruch, die Trümmerfrau. (…) Die alten Neulinken haben unterdessen ihre patriotischen Gefühle entdeckt (…) Volkslied und Mundart haben Konjunktur, man spricht viel von der Heimat, in der Frauenbewegung breitet sich Gebärfreude aus. Das Land hat also wieder eine Zukunft – eine Zukunft für seine Vergangenheit.

Wolfgang Pohrt (1945–2018), 1982, Endstation. Über die Wiedergeburt der Nation, S. 51

Die Deutschen haben auch heute Angst vor „dem Russen“ und zugleich Sehnsucht nach völkischer Geborgenheit bei Kerzenschein und den Radio- oder Videoansprachen des grün-braunen Verzichts-Vizekanzlers, auch wenn nur noch wenige den VE 301 besitzen, dafür aber ein Tablet, Smartphone oder einen Laptop mit externem Großbildschirm über HDMI.[ii]

Jetzt sollen wir weniger duschen und uns an unseren Urgroßmüttern und -vätern orientieren, frieren und die Russen hassen, was können die Deutschen besser? Völkische Subsistenz statt amerikanischer oder kommunistischer Verschwendung, frieren statt leben, stinken statt duften, Öko-Wollschlüpfer statt Erotik, Tempolimit statt Maserati, Waffen für die Ukraine statt Diplomatie, es geht um das kreischende Goutieren von Straßen, Plätzen und Fußballstadien in der Ukraine, die nach Antisemiten, Nazikollaborateuren und Holocausttätern benannt sind, dazu sind wir dunkel und tief statt hell und intellektuell, kapitalistisch und staatlich statt sozialistisch und individualistisch und vielfältig, patriarchal, kleinbürgerlich und familienideologisch statt feministisch, selbst denkend und kinderfrei, tosender Lärm im engen Mietshaus bei stockdunkler Stadt statt Villen für alle und Enteignung der Kapitalisten (m/w/d), eine Volksgemeinschaft der Verzichtenden unter Beibehaltung der Klassengesellschaft, also ein Paradies für den alten autoritären K-Grüppler Kretschmann und die „blätter für die Verzichts-Öko-Diktatur sowie deutschen und völkisch-autarkistisch-militaristischen Nationalismus“.

Der ziemlich harmlose Krieg in der Ukraine verursacht relativ gesehen sehr wenige Tote. Durch die deutschen und amerikanischen Waffen werden es aber täglich mehr. Hätte der Westen Putin eine diplomatische Chance gegeben, hätte es mit sehr großer Wahrscheinlichkeit viel weniger Tote gegeben. Und am Ende wird Russland im Gegensatz zu den USA in Vietnam den Krieg in der Ukraine nicht verlieren, da sind sich Militärexperten einig, dafür ist Russland Atommacht und viel zu stark.

Erinnern wir uns, wie ein wirklich schlimmer Krieg nach 1945 aussieht: Durch Massaker auf beiden Seiten, amerikanische Massenbombardements, dem größten Giftgaseinsatz im Krieg in der Geschichte durch die Amerikaner gegen die kommunistischen Kämpfer der NFL (Nationale Front für die Befreiung Südvietnams) bzw. des Vietcongs sind bis zu vier Millionen Zivilist*innen und über eine Millionen Soldat*innen getötet worden. Das sind Kriegsopfer, die primär die Amerikaner im Vietnamkrieg produziert haben. Der heutige Krieg im Jemen forderte schon bis zu 200.000 bis 300.000 Tote, davon die Hälfte Zivilisten – keine Sanktionen gegen Saudi-Barbarien nirgends, das sind unsere Freunde. Katar wiederum unterstützt die Huthi-Rebellen und heizt den Krieg weiter an.

In Katar soll im November/Dezember 2022 die FIFA Fußball-WM der Männer stattfinden, Katar ist ein islamistisch-reaktionäres Traumland des DFB und von Deutschland. Der Sohn des Nazi-Kriegsverbrechers Albert Speer, der schamlos seinen Namen nicht änderte und Albert Speer Junior hieß (1934–2017), entwickelte mit seinem Architekturbüro Albert Speer & Partner in Frankfurt am Main den Masterplan für die Architektur der Stadien der islamistischen und antisemitischen Fußball-WM 2022 in Katar. Mindestens 15.000 Arbeiter starben qualvoll unter den Arbeitsbedingungen für die WM. Wer dort als Fußballer, Moderator oder Fan auftritt, macht sich mitschuldig, an diesen Fußballschuhen, Mikrofonen und Jacketts klebt Blut.[iii]

Durch den amerikanischen Einsatz von Giftgas und seinen Spätfolgen – „Agent Orange“ – starben nach dem Krieg in Vietnam von 1975 bis 2009 weitere 400.000 Menschen. Im Ukraine-Krieg starben laut den Vereinten Nationen vom 24. Februar 2022 bis zum 8. August 2002 nur 5401 Zivilist*innen. Das ist schrecklich genug. Doch dieser sehr geringen Zahl an Opfern steht eine vollkommen fanatische deutsche Bundesregierung gegenüber, die geradezu plant, dass im Winter 2022/23 buchstäblich alle Lichter ausgehen und es für einen Großteil der Bevölkerung nicht ausreichend Energie geben wird, um ihr normales Leben fortzuführen, das zivilisierter aussieht und besser riecht als der Haushalt des baden-württembergischen Ministerpräsidenten und seiner Fans bei den „blättern für deutschen und internationalen Verzichts-Irrationalismus“.

In den 1960er Jahren standen die Deutschen, der Alt-Nazi Kiesinger und der Emigrant Willy Brandt wie das ganze politische Establishment Hand in Hand hinter den USA und dem genozidalen, imperialistischen und antikommunistischen Krieg in Vietnam.

Nun also feixen die Staatsfetischisten (m/w/d) und danken Putin für diese geniale Gelegenheit, nach dem Corona-Totalitarismus ohne Pause den Verzichts-Totalitarismus der Bevölkerung mit aller Gewalt aufzudrücken.

Dieser Verzichts-Wahn ist in Mode, wir leben in Deutschland, dem Land der großen Traditionen. Im Zweiten Weltkrieg, während des Holocaust, wurde auch die „Kochkiste“ erfunden oder reaktiviert, um Energie zu sparen, was die Tageszeitung Die Welt am 27.1.2005 einfach so einordnete und analogisierte, dieses nazistische Heimatfront-Köcheln, mit der Befreiung von Auschwitz, die am gleichen Tag 1945 stattfand, als eine Berliner Zeitung einen Bericht über die „Kochkiste“ publizierte, wie die WELT 60 Jahre später kichernd erinnerte.

Heute ist also wieder Verzicht angesagt. Diesmal nicht wegen der Niederlage gegen die Sowjets, sondern wegen der obsessiven Hoffnung von Baerbock, Scholz, Habeck, Lindner & Co., Russland „zu ruinieren“. Endlich das Werk des Russen bekämpfenden Wehrmacht-Großvaters von Baerbock vollenden, das ist das Ziel. Dafür sollen „wir“ frieren, stinken, asketisch werden und vor allem dem Staat gehorchen.

Das ist auch der Tenor eines weiteren grün-braunen Zeitgeist-Textes in den „blättern für deutsche und internationale Politik“ des Politologen an der Freien Universität Berlin Philipp Lepenies, der staatstrunken deliriert und aggressiv fordert:

Wie also weiter? Es bedarf eines grundsätzlich neuen gemeinsamen Verständnisses hinsichtlich unseres Bildes vom Staat. Wir dürfen nicht länger im Staat einen Gegner sehen, sondern wir müssen uns, wie im Kompositbild des Leviathan, selbst im Staat erkennen – als Bürgerinnen und Bürger, die durch ein Verantwortungsgefühl für andere und die Umwelt motiviert werden und sich miteinander verbunden fühlen. Dazu gehört auch die Maßgabe, unseren Extremindividualismus zu kontrollieren. Zur Not, in der wir uns gegenwärtig angesichts der Kumulation der Krisen ganz offensichtlich befinden, auch durch Verbot und Verzicht. Und ganz sicher nicht länger durch eine Politik des Unterlassens.

Seine ökodiktatorischen Fantasien konnte Lepenies auch bei Suhrkamp publizieren.

Auf die gefährliche und antidemokratische Ideologie von Lepenies weist der Journalist Rüdiger Suchsland auf Telepolis hin:

In den Blättern für deutsche und internationale Politik wärmt jetzt der Politikwissenschaftler Philipp Lepenies diesen Evergreen wieder auf: “Verzicht als erste Bürgerpflicht” heißt sein Text, eine Art Kurzfassung seines bei Suhrkamp im März erschienenen Buches Verbot und Verzicht, in dem Lepenies für eine “große Transformation” plädiert.

Suchsland stellt kritische Fragen und weist die anmaßende, anthropozentrische, sich selbst überhöhende und sich selbst viel zu ernst nehmende Position des FU-Politologen zurück:

Er fordert, dass die Menschen “ein Stück ihrer persönlichen Freiheit aufgeben” sollten und sich “aus freien Stücken einer Regierungsform unterwerfen, um dem Chaos des Naturzustandes zu entgehen”, es schließlich müsse der Fortbestand der Menschheit auf dem Planeten gesichert werden.

“Warum eigentlich?”, ist hier so eine der ketzerischen Gegenfragen, die zu stellen schnell mit dem Fegefeuer öffentlicher Ausgrenzung bedroht wird. Warum soll der Fortbestand der Menschheit eigentlich gesichert werden? Und wie groß ist “die Menschheit”? Acht Milliarden? Zwölf? Oder nur eine?

Wäre die Welt nicht womöglich ein besserer Ort ohne Verzichtsapostel wie Lepenies und Konsorten? Wäre die Welt nicht ein besserer Ort ohne die Deutschen? Ja würde es der Welt nicht besser gehen, wenn es das Untier[iv] nicht mehr gäbe oder jedenfalls viel weniger von diesem schändlichen Exemplar? Wer will das ernsthaft bezweifeln? Egomanen und Narzissten, sicher, Deutsche vorneweg, die schon mal die Welt vor dem Untergang (dem „internationalen Judentum“) „retten“ wollten und dafür die größten Verbrechen in der Geschichte der Menschheit verbrochen haben, die Generation der Großväter von Annalena B.

Rüdiger Suchsland trifft den Kern der neu-deutschen Ideologie:

Dagegen stehen Philipp Lepenies und seine Argumentation für ein neues Bündnis zwischen klassischen Konservativen und jenen Neokonservativen, die inzwischen das Lager der Grünen dominieren und auf lange Sicht eine schwarz-grüne Regierungsoption gegenüber rot-grün oder eine Ampel bevorzugen. Es geht um Befreiung durch Unterjochung.

Jene, die Verzicht predigen, sind die gleichen, die 100 Milliarden der Ampelkoalition für die Mordmaschinerie der Bundeswehr und schwere Waffen für die Ukraine affirmieren. Es geht ja gegen „den Russen“! Und für Deutschland. Wer also soviel Naturzerstörung, CO2-Emissionen und Mord, wie er von Waffen der Bundeswehr ausgeht, mag, heuchelt, wenn er oder sie von „Verzicht“ gleichsam faselt.

Es geht wie immer in der Geschichte der BRD um die Rettung des Kapitalismus. Es geht zudem um die Umschreibung der Geschichte via inflationärem Gebrauch des Wortes „Vernichtungskrieg“.

Der Staatsfetischismus ist brandgefährlich. Darauf geht auch die Professorin für Rechtswissenschaft an der Universität Köln Frauke Rostalski in einem Text auf dem Verfassungsblog ein. Sie kritisiert das Urteil des Bundesverfassungsgericht zur Masernimpfpflicht. Sie sieht damit das Tor zu biopolitischen Übergriffen aller (!) Art weit geöffnet:

Es ist nicht die Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, einen irgendwie gearteten Zeitgeist bzw. gewandelte gesellschaftliche Wertvorstellungen „unvermittelt und ungefiltert in die Rechtsfortbildung“ zu übernehmen. „[N]eue soziale Einstellungen müssen vielmehr im Bereich des Rechts kritisch untersucht werden.“5) „Bei aller Einsicht in den bestimmenden Einfluß des Zeitgeistes auf die Rechtsordnung gilt gleichwohl: Auch wenn im gesellschaftlichen Bereich weitgehender Konsens über neue Wert- und Gerechtigkeitspostulate besteht, vermag dies nicht immer einer bestimmten Rechtsfortbildung volle Legitimität zu verschaffen.“6) Vollzieht die Gesellschaft also eine biopolitische Wende, läge es in der Verantwortung nicht zuletzt des Bundesverfassungsgerichts, Zurückhaltung und Bedacht anzumahnen, sodass nicht vorschnell Tatsachen geschaffen werden, die sich nur schwer oder gar nicht revidieren lassen. Wer bloß die Vertretbarkeit gesetzgeberischer Entscheidungen überprüft, ist hiervon meilenweit entfernt.

Rostalski schreibt weiter:

Eine Gesellschaft kann sich vor diesem Hintergrund durchaus fragen, welche Pflichten sie den Einzelnen abverlangt, um das System insgesamt weniger zu belasten. Dies dient Leib und Leben und damit, wie das Bundesverfassungsgericht es formuliert, „überragend wichtige[n] Gemeinwohlbelangen“ (Rn. 107). Danach gefragt, würden sicherlich die meisten Mediziner von fettigem Essen, Rauchen und mangelnder Bewegung abraten. Ergibt sich hieraus zugleich ein Überwiegen staatlicher Schutzpflichten, die etwa durch Preiserhöhungen, Ver- und Gebote umgesetzt werden könnten? Genügt der bloße Umstand, dass eine Maßnahme Gesundheit schützen und damit Leben retten kann, um sie verfassungsrechtlich zu rechtfertigen?

Solange der Lebensschutz nicht absolut gilt, muss die Antwort klar „Nein“ lauten. Und er kann nicht absolut gelten, solange wir vom Ideal einer freiheitlichen Gesellschaft nicht abrücken wollen. Was wir gleichwohl erleben, ist eine grundlegende Neubewertung, die in Bezug auf Gesundheitsrisiken individueller Freiheit und Selbstverantwortung zunehmend das Wasser abgräbt. Der Zeitgeist ist auf Risikoaversion gepolt – die Gründe hierfür dürften vielschichtig sein.

Hier trifft die Juristin einen zentralen Aspekt der aktuellen Panik, Heuchelei und dem Ruf nach der wahlweise Corona- oder Öko-Diktatur sowie dem Ukraine-Fetischismus: „Risikoaversion“. Es soll angeblich das Risiko minimiert werden, an xyz zu sterben. Doch darum ging es Merkel, Seehofer, Scholz, Habeck, Baerbock, Wieler, dem RKI, Drosten oder Lauterbach keine Sekunde. Es ging und geht um die totale Herrschaft im Mantel der Demokratie. Die Gefahr von Covid-19 bzw. SARS-CoV-2 für Menschen unter 70 Jahren war von Anfang an so klein wie die Gefahr, auf dem Weg zur Arbeit tödlich zu verunglücken. Das sagen die WHO und der weltweit führende Epidemiologe John P.A. Ioannidis. Es ging um Panikmache, wie das „Panikpapier“ von Horst Seehofer und der Bundesregierung eindeutig beweist.

Und jetzt? Jetzt werden Waffen geliefert, damit Menschen sterben, möglichst viele Russen. Es wird die Gefahr eines Übergreifens des Krieges auf andere Gebiete gezielt in Kauf genommen. Die USA lechzen nur darauf, Russland zu einem Atomschlag zu provozieren und dann die Welt wirklich an den Rand der totalen Selbstzerstörung zu bringen. Jene Wahnsinnigen und Irrationalisten (m/w/d), die von einer NATO-Flugverbotszone in der Ukraine reden, nehmen einen Atomkrieg billigend in Kauf. Also von wegen „Risikoaversion“ – die gesamte Ukrainepolitik ist Risiko-, Panik- und Todesliebe der Deutschen, der Amerikaner und des Westens. Die Ukrainepolitik zeigt auch die Wahrheit über die Coronapolitik: es geht um staatliche Herrschaft, unbegrenzte staatliche Herrschaft und die Unterdrückung von selbstbestimmter Individualität.

Suchsland schreibt:

Diese Milieus des urbanen wohlhabenden, besserverdienenden oberen Drittels der Gesellschaft begrüßten zuletzt die Corona-Maßnahmen als “notwendigen” Schutz “der Vulnerablen”, ohne Zeit an den Gedanken zu verschwenden, dass sich ein Lockdown im 200qm-Loft mit Balkon besser ertragen lässt als in der 30qm Wohnung.

Staatlich verordnete Hygieneregeln wurden damals von manchen als legitimer Eingriff in die autonomen Handlungsentscheidungen der Bürger gewünscht, so wie man sich jetzt über die Duschverhaltensregeln grüner Politiker freut.

Das Wort “Freiheit” wird – wo Freiheit “fatal” ist – in diesen Gruppen, der vor allem grün und Union wählenden bürgerlichen Wohlstandsmilieus, nicht länger verstanden als ein Vertrauensvorschuss an das mündige Subjekt, als selbstverständliche Wahlmöglichkeit und Grundlage von Selbstbestimmung (Immanuel Kant), sondern als Freibrief für Egoisten, um mit dem Porsche per 250 Stundenkilometer über die Autobahn brettern zu dürfen. Jeder, der das mal praktisch versucht hat, weiß, dass es schon deswegen gar nicht geht, weil dort viel zu viele E-Autos mit 79,5km/h Energiesparen üben.

100 Milliarden für die Bundeswehr, den Kapitalismus stärken und vom Verzicht daherreden: das ist deutsche Ideologie 2.0. Die Deutschen lieben den Ausnahmezustand, alle haben sie ihren Carl Schmitt unterm Kreuz mit Balkensepp oder der neuesten Ausgabe der „blätter“ im Regal stehen. Corona zeigte, was man mit 83 Millionen machen kann, wie man sie in Panik versetzen, einsperren, zu Tode fürchten, isolieren, de facto zwangsimpfen (-spritzen) und via Impf-Apartheid selektieren kann und dazu die ganze Zeit mit einer Windel vor Nase und Mund zu Zombies mutieren lässt.

Die staatliche Aggression, Menschen zu zwingen, sich vor sich selbst zu schützen, ist unerträglich. Und natürlich inkonsequent. Denn was die Menschen wirklich kaputt macht – nicht zuletzt Jugendliche und Kinder, die unter Corona litten wie keine andere Bevölkerungsgruppe, vom sehr kleinen selbst denkenden Teil der Erwachsenen abgesehen –, das sind seit März 2020 der Twitter-Account von Karl Lauterbach, die Stellungnahmen von Merkel, Spahn, Wieler (RKI) und jetzt die 100 Milliarden für die Bundeswehr (wegen der Ukraine und der Zukunft deutscher Aggressionen) von Olaf Scholz und die pro-ukrainische und rassistische anti-russische Stimmung im ganzen Land, gepusht von den Strack-Zimmermanns.

Das Plädoyer für Verzicht und Gehorsam in den „blättern für deutsche und internationale Politik“ zeigt, dass dieses Land wieder eine Zukunft hat für seine Vergangenheit. Nichts Neues also und doch eine verschärfte Krise nicht geahnten Ausmaßes.

Um was es geht? Nord Stream 2 sofort freigeben, Diplomatie statt Waffen, die Ukraine wie Russland politisch überzeugen, dass es ohne Kompromisse nicht gehen wird. Den von Deutschland so unendlich sehnsüchtig erhofften Sieg über die Russen, den wird es nicht geben. Doch die Deutschen verzichten lieber auf ein schönes und rationales Leben. Sie haben die Gesichtswindel mit ihrem eigenen Rotz mitten in der Fresse lieben gelernt wie kein anderes Volk auf diesem Planeten und sie werden auch gegen die Russen kämpfen bis zur letzten Kernseife. Anstatt den Kampf gegen den irrationalen, immer zu Krisen und Krieg hinstürmenden Kapitalismus aufzunehmen, wird der militärisch-industrielle Komplex so stark ausgebaut wie nie seit dem Ende des Nationalsozialismus. Deutschland hat wieder eine Zukunft – eine Zukunft für die Vergangenheit.

 

 

 

[i] „In seinen Vorlesungen im “Club Voltaire” 1980/81 sprach der damals vom Dienst an der Universität Hannover suspendierte Professor und führende linxradikale Intellektuelle der 1968er Bewegung Peter Brückner über die legendäre Studie von Erich Fromm über “Arbeiter und Angestellte am Vorabend des Dritten Reiches, eine sozialpsychologische Untersuchung”, die Fromm 1929/30 begonnen und Anfang 1931 unter Kollegen bekannt gemacht hatte. Brückner geht auf einige ausgewählte Aspekte ein, die anzeigen, wie weit verbreitet konservative bis reaktionäre Vorstellungen gerade unter Arbeitern und Angestellten aus dem Milieu von SPD und KPD waren. Auf die Frage: Gefällt Ihnen die Verwendung von Puder, Parfum und Lippenstift bei einer Frau? antworteten 8 % der SPDler, 11 % der KPDler und 14 % der Nazis (NSDAP) mit “Ja”, 86 % der SPDler sagten “Nein”, 82 % der KPDler und 84 % der Nazis“, https://www.clemensheni.net/moegen-maskenfetischisten-keine-lippen-und-keinen-lippenstift/ (21. März 2021).

[ii] Siehe dazu meinen Band „Der Komplex Antisemitismus“ von 2018, S. 599:

In einem anderen Band von 1934 – „Nürnberg und Bückeberg 1933“ (Nürnberg und Bückeberg [1933]/(1934): Der 1. Reichsparteitag d. geeinten deutschen Volkes. Der grosse Erntedanktag auf d. Bückeberg bei Hameln, Dresden: Völkischer Verlag M.O. Groh) – wird der Reichsparteitag in Nürnberg zusammen mit dem „Großen Erntedank auf dem Bückeberg“ gepriesen. Hitler sagte in seiner Rede auf dem Bückeberg am 1. Oktober 1933:

„Seit im vergangenen Jahre die Ernte eingeführt wurde, hat sich in Deutschland ein Wandel von geschichtlichem Ausmaß vollzogen. Ein Parteistaat ist gefallen, ein Volksstaat ist entstanden.“ (Ebd., S. 78.)

Die NS-Ideologie wird unumwunden deutlich:

„Denn der Nationalsozialismus hat weder im Individuum noch in der Men­sch­heit den Ausgangspunkt seiner Betrachtungen. Er rückt bewußt in den Mittel­punkt seines ganzen Denkens das Volk. Dieses Volk ist für ihn eine blut­mäßig bedingte Erscheinung, in der er einen von Gott gewollten Baustein der men­schlichen Gesellschaft sieht. Das einzelne Individuum ist vergänglich, das Volk ist bleibend.“ (ebd.)

Diese völkische Ideologie, die Entmenschung des Einzelnen, war also 1933 jedem vor Augen. Die Rede Hitlers wurde live im Radio übertragen, viele hatten vielleicht schon einen VE 301, den beliebten „Volks­empfänger“, wobei 301 für den 30. Januar 1933 stand, wie der Designtheoretiker Chup Friemert analysierte. (Chup Friemert (1996): Radiowelten. Zur Ästhetik der drahtlosen Telegrafie, Stuttgart: Cantz Verlag, S. 78 f.) Der VE 301 kostete 76 Reichsmark und ab dem 25. Mai 1933 wurde in 28 Radiofabriken und 59 Zuliefererbetrieben mit der Produktion begonnen, bis November 1933 waren bis zu 500.000 Exemplare produziert. Deutschland als radiophone Volksgemeinschaft, aber natürlich genauso als berauschte, handgreifliche Masse.

[iii] „Das WM-Jahr beginnt und Katar lässt weiterhin Migranten unter sklavenähnlichen Bedingungen arbeiten. Die Lage im Emirat wird sogar immer schlimmer, mindestens 15.000 tote Gastarbeiter werden seit der WM-Vergabe gezählt. Wer an der WM teilnimmt, wird Teil des Leids“, https://www.n-tv.de/sport/fussball/Wer-zur-WM-faehrt-wird-Teil-des-Missbrauchs-article23054112.html.

Nochmal: 5401 Tote Zivilisten in der Ukraine seit Kriegsbeginn und unser ganzes Leben, das auf Energie basiert, wird in Frage gestellt. Vergleichen wir das mit den 15.000+ toten Arbeitern, die in Katar Fußballstadien und Infrastruktur bauten, damit sich die ganze Welt dem größten TV-Spektakel des Jahres im Herbst/Winter 2022 hingeben kann. Für Sport und Spaß ist der Sommer in dieser nahöstlichen Hölle zu heiß – zum Sterben auf den Baustellen war der Sommer und das ganze Jahr gut genug. Die Verkommenheit dieser WM ist schwer in Worte zu fassen, der Zynismus extrem. 15.000+ Tote, die alle vermeidbar gewesen wären, würde es dieses Land mit seinen Herrschern und diese Zusage zu dieser WM nicht geben, verglichen mit den 5401 toten Zivilisten in der Ukraine, die vermutlich auch hätten vermieden werden können, wären Amerika und der Westen auf Putin zugegangen und hätten über einen ohnehin kommenden neutralen Status der Ukraine verhandelt. Auch die Krim ist russisch, das will offenkundig die Bevölkerung so, und im Donbass sieht es ähnlich aus etc. pp. Dass die Deutschen Katar lieben zeigt die Politik von Wirtschaftsminister Habeck, der vor den Islamisten sich verbeugt und den muslimischen Diktatoren zeigt, dass er sie beneidet, nicht nur wegen den vielen Rohstoffen, sondern auch wegen der uneingeschränkten Herrschaft. Selbst dem Spiegel war das suspsekt: “Katar hui, Kanada pfui – kurz hatte ich mich gefragt, ob womöglich eine Verwechslung vorliegt, immerhin fängt beides mit K an. Deshalb hier noch mal die Unterschiede: Katar belegt beim weltweiten Demokratieindex Platz 114 hinter Burkina Faso. Kanada belegt Platz zwölf vor Deutschland. Katar hat einen CO₂-Ausstoß von 37 Tonnen pro Kopf und Jahr. Kanada hat 14 Tonnen. Katar: Zwangsarbeit, Scharia, Muslimbrüder. Kanada: Platz eins im »Gay Travel Index«. So viel zum Thema Umwelt- und Sozialstandards.”

[iv] „Die Apokalypse steht ins Haus. Wir Untiere wissen es längst, und wir wissen es alle. Hinter dem Parteiengezänk, den Auf- und Abrüstungsdebatten, den Militärparaden und anti-Kriegsmärschen, hinter der Fassade des Friedenswillens und der endlosen Waffenstillstände gibt es eine heimliche Übereinkunft, ein unausgesprochenes großes Einverständnis: daß wir ein Ende machen  müssen mit uns und unseresgleichen, so bald und so gründlich wie möglich – ohne Pardon, ohne Skrupel und ohne Überlebende.

Was sonst trüge das, was das Untier ‘Weltgeschichte’ nennt, wenn nicht die Hoffnung auf die Katastrophe, den Untergang, das Auslöschen der Spuren. Wer könnte eine sich Jahrtausend und Jahrtausend fortsetzende Litanei des Hauens, Stechens, Spießens, Hackens, die Monotonie des Schlachtens und Schädelspaltens, das Om mani padmehum der Greuel ertragen, ja seinerseits nach Kräften befördern, der nicht zugleich in der Heimlichkeit seiner Vernunft gewiß wäre, daß diese rastlosen Übungen ihm und seine Gattung Gemetzel um Gemetzel, Schlacht um Schlacht, Feldzug um Feldzug, Weltkrieg um Weltkrieg unaufhaltsam jenem letzten Massaker, jenem globalen Harmageddon näherbringen, mit dem das Untier seinen Schlußstrich setzt unter die atemlose Aufrechnung sich fort- und fortzeugenden Leids“, Ulrich Horstmann, Das Untier, 1983, zitiert nach https://www.clemensheni.net/was-taugt-die-broschuere-der-erreger-texte-gegen-die-sterilisierung-des-lebens/ (25. Juli 2021).

Blätter für deutschen und internationalen Antisemitismus?

Von Dr. phil. Clemens Heni, 05. Februar 2020

Die Zeitschrift „Blätter für deutsche und internationale Politik“ ist eines der bekanntesten politischen und politikwissenschaftlichen Periodika im deutschsprachigen Raum. Wer ein Public Intellectual ist oder meint zu sein und sich irgendwie als „aufgeklärt“, „liberal“ oder „links“ versteht, publiziert dort. Nicht weniger als 22 Personen gehören zum „Herausgeberkreis“, von Katajun Amirpur über Jürgen Habermas und Seyla Benhabib hin zu Dan Diner, Claus Leggewie und Micha Brumlik reicht die typische Palette, angeführt von Albrecht von Lucke und der Redaktion. Die Themen reichen von Rechtsextremismus über Kapitalismus zu Ökologie, Philosophie und Antisemitismus in der DDR.

Doch wie so oft, wird es schwierig, sobald es um Juden und den Zionismus geht. Klar wird in den Blättern an die toten Juden der Shoah erinnert. Aber wie steht die Zeitschrift zu den lebenden Juden in Israel? Das zeigt sich exemplarisch in der Februar-Ausgabe 2020 der Blätter. Dort schreibt Lothar Zechlin über „Israelkritik gleich Antisemitismus?“.

Der 1944 geborene Zechlin war Professor für Öffentliches Recht und Hochschulmanager, er wäre vor einigen Jahren um ein Haar Präsident der Hochschulrektorenkonferenz geworden und unterlag in einer Stichwahl. Zu seinen Publikationen gehören „Minderheitenschutz im deutschen und französischen Aktienrecht“, „Streik, Strafrecht, Polizei. Juristischer Leitfaden für Konflikte mit der Staatsgewalt“ oder „Understanding and developing your role as a leader“ bis hin zu „Schadensersatzansprüche bei Klassenfahrten“. Als Publizist zu Antisemitismus oder Antizionismus ist Zechlin bislang nicht in Erscheinung getreten.

Zechlin geht es um die Arbeitsdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA), einem Zusammenschluss von derzeit 34 Staaten, die sich auf folgende Definition verständigt haben:

Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort und Tat gegen jüdische oder nicht-jüdische Einzelpersonen und / oder deren Eigentum, sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen und religiöse Einrichtungen.

Das nennt Zechlin „konturlos“. Dass sich also 34 führende Industrienationen und weitere Länder hinter diese Definition stellen, sei „konturlos“ – was ist mit den anderen gut 160 Staaten, die nicht zur IHRA gehören und für die der Hinweis auf Hass gegen Juden kein Problem darstellt, oder gar Freude evoziert? Die Indifferenz der Weltgemeinschaft war schon während des Holocaust katastrophal. Was bringen all die warmen Wort des Gedenkens, wie sie gerade von solchen Blättern kommen, wenn die lebenden Juden hier und heute im Stich gelassen werden?

Der Bundestag würde nun mit seiner Anti-BDS-Resolution von Mai 2019 die IHRA Definition gar „verfälschen“, wie die Blätter insinuieren, und Hass auf Israel als Form von Antisemitismus aufnehmen:

Erscheinungsformen von Antisemitismus können sich auch gegen den Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, richten.

Das ist jedoch keine Verfälschung, sondern nur eine Konkretisierung der IHRA Definition, die ja ganz absichtlich und nach vielen Jahren der Diskussion diesen Zusatz wie weitere Beispiele anfügte.

Geradezu zynisch schreibt Zechlin:

Die Nahost-Expertin Muriel Asseburg von der Stiftung Wissenschaft und Politik stellt dazu fest: ‚Einzelne Vertreter dieser Bewegung [BDS] dürften von Judenhass motiviert sein und manche Aktionen können auch problematisch sein. Das entspricht aber nicht dem Mainstream dieser Bewegung‘.

So wird antisemitische Alltagsgewalt entwirklicht oder affirmiert. Zudem wird nicht der wissenschaftlichen Definition gefolgt, die die Ablehnung jüdischer Souveränität, den heutigen Antizionismus, als antisemitisch definiert. Es ist ein Unterschied ums Ganze, ob jüdische Gruppen vor der Shoah und vor 1948 antizionistisch waren oder nach der Gründung des jüdischen Staates. Wer heute antizionistisch ist, nimmt die Zerstörung Israels und den Tod von Juden billigend in Kauf. Sodann führen die Blätter aus:

…dürfte sich die Unterstützung in aller Regel auf das nichtantisemitische Programm und nicht einzelne Exzesse beziehen.

Lothar Zechlin weiß also, dass sich BDS-Unterstützer*innen „in aller Regel“ auf das „nichtantisemitische Programm“ von BDS beziehen und „nicht“ auf „einzelne Exzesse“. Er hat jedoch überhaupt nicht definiert, dass das geforderte Rückkehrrecht, also das Programm von BDS, antisemitisch ist, weil es völkerrechtlich jüdische Souveränität in einem eigenen Staat ablehnt. In einer Fußnote hat der 75jährige Autor sich abgesichert und autoritär gesetzt, dass Judenhass kein Judenhass ist, wenn er sich „nur“ gegen den Staat der Juden richtet:

Selbst wenn man die Forderung nach Rückkehrrecht und staatsbürgerlicher Gleichheit der Palästinenser als Bedrohung der Existenz Israels als eines jüdischen Staates ansieht (was zu diskutieren wäre), handelte es sich um einen nicht aus Judenfeindlichkeit gespeisten Antizionismus.

Der BDS-Mitbegründer Omar Barghouti wendet sich konstant gegen Israel als jüdischer Staat, erst vor wenigen Monaten wieder in einem Leserbrief an die New York Times: Er möchte einen Staat für Juden und Araber und lehnt den Zionismus und den “jüdischen Staat” kategorisch ab. Das ist antisemitisch. Das ist BDS. Barghouti schreibt am 24. April 2019:

As the philosopher Joseph Levine has written, ‘The very idea of a Jewish state [in Palestine] is undemocratic, a violation of the self-determination rights of its non-Jewish citizens, and therefore morally problematic.’

Das ist auch die Position der Philosophin Judith Butler, die jüngst von der Barenboim-Said Akademie eingeladen wurde, wobei die Veranstaltung dann doch angeblich aus “organisatorischen Gründen” abgesagt wurde, aber die Intention spricht Bände und die Diskussion mit Butler soll nachgeholt werden. Dabei wird Butlers völlige Ablehnung des Zionismus in Israel auch von solchen Autoren völlig zu Recht attackiert, die selbst Kritik am gegenwärtigen Zustand des Landes haben, aber sehen, dass die Ablehnung des jüdischen Staates an und für sich zu gar keiner Verbesserung führen wird – dafür Juden in Gefahr bringt.

Eine der bedeutendsten NGOs im Kampf gegen Antisemitismus ist die Anti-Defamation League (ADL) aus den USA. Sie definiert ganz eindeutig, dass es nicht anitsemitisch ist, Israel oder jedes andere Land zu kritisieren. Es ist aber sehr wohl antisemitisch, den “jüdischen Staat” als solchen abzulehnen:

Is criticism of Israel always anti-Semitic?

No. Anti-Israel activity crosses the line to anti-Semitism when:

All Jews are held responsible for the actions of Israel.

Israel is denied the right to exist as a Jewish state and equal member of the global community.

Traditional anti-Semitic symbols, images or theories are used.

Eine Kritik an der Besatzung des Westjordanlandes gibt es seit 1967 – eine Kritik aus zionistischer Perspektive wie von Amos Oz. BDS hingegen übt keine Kritik an der Politik Israels. BDS und zwar jeder einzelne BDS unterstützende Mensch, möchte Israel als jüdischen Staat zerstören, denn das ist das Programm von BDS, egal wie diese oder jener persönlich das Programm interpretiert, es ist objektiv antisemitisch – eine subjektiv antisemitische Haltung kommt bei vielen noch hinzu.

Zechlin macht sich nicht mal die Mühe Barghoutis ablehnende Haltung gegenüber dem jüdischen Staat zu erwähnen. Diese ignorante oder unwissenschaftliche Herangehensweise ist jedoch nicht nur den Blättern für deutsche und internationale Politik vorbehalten, sie ist Mainstream unter jenen Forscher*innen, Politiker*innen und Aktivist*innen, die den Anti-BDS-Beschluss des Deutschen Bundestages bekämpfen.

Dass die Blätter für deutsche und internationale Politik, die Crème de la Crème des deutschen sozial- und geisteswissenschaftlichen Establishments, sich so offen und aggressiv gegen die Anti-BDS-Resolution des Deutschen Bundestags stellt, sagt alles über die politische Kultur und Situation für Juden und Israel in diesem Land. Es gibt eine ganz dünne Schicht von seriösen Politiker*innen, Journalist*innen, Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen, darunter jedoch brodelt die Lava der antiisraelischen Elite Seite an Seite mit dem immer abrufbaren Mob (“Jude, Jude, feiges Schwein, komm heraus und kämpf allein”, wie es zumal muslimische und arabische Hetzer*innen herausbrüllen).

 

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