Wissenschaft und Publizistik als Kritik

Schlagwort: IHRA

Die Bedeutung der IHRA Antisemitismus-Definition für die Generation Z

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA), 18. Mai 2022

Der Kampf gegen Antisemitismus ist für die junge Generation Z von zunehmender Bedeutung. Jedenfalls für einige jüdische Teenager der Generation Z oder Genz Z.

Die Generation Z umfasst junge Leute, die zwischen 1995 und 2015 geboren wurden. Zachary W. Singerman ist ein Schüler an der Jewish Day School in Rockville im US-Bundesstaat Maryland, ca. 14 Meilen süd-östlich von Germantown und nur wenige Meilen nördlich von Washington, D.C. Singerman hat schon als Neuntklässler im Januar 2020 zum aktiven Kampf seiner Generation gegen Antisemitismus aufgerufen und einen Op-Ed Artikel in der Washington Jewish Week publiziert.

 

 

Er berichtet von seiner Bar Mitzvah im April 2018, wie viel er gelernt hat und eine Party mit DJ hatte. Doch nur sechs Monate später ermordete ein Neonazi in der Tree of Life Synagoge in Pittsburgh 11 Menschen. Der Täter war nachdrücklich durch das von Donald Trump hergestellte, extrem aggressive rassistische wie antisemitische und verschwörungsmythische Klima agitiert worden. In die Tree of Life Synagoge geht die Großmutter von Zack Singerman, die aus Europa geflohen bzw. eingewandert war. Seine Großmutter war an dem Tag nicht in der Synagoge, aber unter den Toten befinden sich Freunde von ihr. Es war Zufall, dass sie nicht auch bei diesem schlimmsten antisemitischen Massaker in der Geschichte der USA ermordet wurde. Das war für Zachary Singerman der Weckruf, dass gerade er als Teenager, gerade mal 14 Jahre alt, politisch aktiv werden muss. Er organisierte das Jewish DC Regional Teen Summit on anti-Semitism.

Für den März 2020 kündigte er für diese Veranstaltung Bari Weiss an, die bekannte anti-linke ehemalige New York Times Kolumnistin, die jetzt auch für die deutsche konservative Springer-Tageszeitung Die WELT schreibt, und abgesehen von ihrer konservativen Ideologie und ihrer Pro-Selenskyi-Kriegsagitation (“Wofür es sich zu kämpfen lohnt”, Die Welt, 22.03.2022, ein schwülstiger und kriegslüsterner, anti-diplomatischer Text), eine durchaus mitunter eloquente Kritikerin des heutigen Antisemitismus ist.

Dazu waren von Zack Singerman für den März 2020 die beiden Senator*innen Jacky Rosen und James Lankford eingeladen, die eine Senate Bipartisan Task Force for Combating Anti-Semitism gegründet haben.

Am 12. Mai 2022 publizierte Singerman einen Blog auf der Times of Israel, wo er sich wiederum für ein aktives Engagement seiner Gen Z gegen Antisemitismus ausspricht.

Demnach sind laut FBI in den USA im Jahr 2020 über 55 Prozent aller religiösen Hassverbrechen (“hate crime”) gegen Juden gerichtet gewesen – dabei sind nur 2 Prozent der US-Bevölkerung Juden. Am 16. Mai 2022 postete Zack Singerman einen Zoom-Talk mit zwei anderen Schülerinnen sowie einer Studentin aus den USA bzw. Kanada zum Thema Kampf gegen Antisemitismus und jüdischen Leben heute in Nordamerika.

Das sind alles Kids im Alter von 17 bis 19 Jahren. Es ist bemerkenswert wie intensiv sie sich mit dem Judentum und mit Antisemitismus beschäftigen – ja schrecklicherweise mit Antisemitismus tagtäglich beschäftigen müssen. Es ist eine Frage, ob Zack seine “massive Kippa” im öffentlichen Nahverkehr trägt oder nicht. Er trägt sie. Dabei hat er es noch leicht, er ist auf einer jüdischen Schule, die beiden anderen Schülerinnen, Arielle Edberg und Carrie Tananbaum nicht. Arielle trägt ihre Halskette mit einem Davidstern und Carrie hat an ihrer High-School viele jüdische Freund*innen. Nati Pressmann hingegen, die einzige, die schon an der Uni ist, weiß ob der Probleme, sich als Jüdin oder Jude erkennen zu geben. Sie betont mit Nachdruck, dass es nicht der Fehler einer jüdischen Studentin oder eines jüdischen Studenten ist, wenn sie oder sie sich in einer bestimmten Umgebung mal nicht trauen, ihre jüdische Halskette zu zeigen, und lieber mal unterm T-Shirt oder Pullover verstecken. Das sind Zeiten mit BDS-Hetzer*innen am Campus, aber auch mit Rechtsextremen, die Hakenkreuze an Schulen oder Unigebäude schmieren, wie die vier berichten.

Interessant ist nun, wie selbstverständlich sie die IHRA Antisemitismus-Definition anführen, ohne das Akronym auszusprechen – International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA). Gleich zu Beginn der Zoom-Konferenz spielt Zack ein Video des Abgeordneten im Repräsentantenhaus (D) Ted Deutch ein, der ganz begeistert ist, dass jüdische Teenager sich so aktiv im Kampf gegen Antisemitismus engagieren.

Im Herbst bei den Midterm-Wahlen in den USA wird Deutch nicht mehr antreten, da er dann Chef (CEO) des American Jewish Committe (AJC) und Nachfolger von David Harris, der diesen Job seit 1990 inne hatte, werden wird.

Einen viel hochkarätigeren Unterstützer für seine Gen Z Jews: Fighting Antisemitism hätte der Teenager Zack Singerman kaum finden können. Nati Pressmann betont, wie heftig es an ihrer Uni bzw. ihrem College zugeht, wo kürzlich 69 Prozent der faculty – also der Angestellten – sich gegen die IHRA Antisemitismus-Definition ausgesprochen haben.

Die nach vielen Jahren Diskussion am 26. Mai 2016 in der rumänischen Hauptstadt Bukarest angenommene Antisemitismus-Definition der IHRA wird aktuell von 35 Staaten unterstützt. Dabei ist weniger die Definition als solche ein Streitpunkt:

„Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Jüdinnen und Juden, die sich als Hass gegenüber Jüdinnen und Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen.“

, als vielmehr aus Sicht von Israelfeinden folgende nähere Erläuterung, was nun unter heutigem Antisemitismus zu verstehen ist:

Das Aberkennen des Rechts des jüdischen Volkes auf Selbstbestimmung, z.B. durch die Behauptung, die Existenz des Staates Israel sei ein rassistisches Unterfangen.

Daher schrieb ich am 5. Februar 2020 (“Blätter für deutschen und internationalen Antisemitismus?“):

Dass die Blätter für deutsche und internationale Politik, die Crème de la Crème des deutschen sozial- und geisteswissenschaftlichen Establishments, sich so offen und aggressiv gegen die Anti-BDS-Resolution des Deutschen Bundestags stellt, sagt alles über die politische Kultur und Situation für Juden und Israel in diesem Land. Es gibt eine ganz dünne Schicht von seriösen Politiker*innen, Journalist*innen, Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen, darunter jedoch brodelt die Lava der antiisraelischen Elite Seite an Seite mit dem immer abrufbaren Mob (“Jude, Jude, feiges Schwein, komm heraus und kämpf allein”, wie es zumal muslimische und arabische Hetzer*innen herausbrüllen). (…)

Der Bundestag würde nun mit seiner Anti-BDS-Resolution von Mai 2019 die IHRA Definition gar „verfälschen“, wie die Blätter insinuieren, und Hass auf Israel als Form von Antisemitismus aufnehmen:

Erscheinungsformen von Antisemitismus können sich auch gegen den Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, richten.

Das ist jedoch keine Verfälschung, sondern nur eine Konkretisierung der IHRA Definition, die ja ganz absichtlich und nach vielen Jahren der Diskussion diesen Zusatz wie weitere Beispiele anfügte.

35 Länder haben diese zwar juristisch nicht-bindende Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance unterzeichnet, darunter Deutschland, Österreich, die Schweiz und viele europäische Länder, eine Definition, die für die politische Kultur und den Diskurs von großer Bedeutung ist. Kanada hat die Definition auch unterzeichnet, aber Nati Pressmann ist erschüttert, wie stark die Ablehnung an einer ganz normalen kanadischen Universität gegenüber diesem Kampf gegen Antisemitismus ist. Das kommt zu einer Zeit, wo an der Elite-Universität Harvard in deren Studentenzeitung Crimson am 29. April 2022 ganz aggressiv und offensiv die antisemitische BDS-Bewegung unterstützt wurde.

Das Engagement von Zack Singerman und seinen drei Kolleginnen erinnert an die jugendlichen Kämpfe gegen Judenhass, die der spätere Starfrisör und Philanthrop (u.a. des legendären Vidal Sassoon International Center for the Study of Antisemitism (SICSA) an der Hebräischen Universität Jerusalem 1982 ff.) Vidal Sassoon (1928-2012) führte. Er war bekanntlich Mitglied in London bei der Group 43, die 1946 gegründet wurde und sich in Straßenkämpfen den Mosley-Faschisten entgegenstellte. Am 12. Mai 2012 starb Sassoon. 1948 kämpfte er im Palmach für die Unabhängigkeit des jüdischen Staates Israel.

Ein neonazistischer antisemitischer 18-jähriger Verschwörungsideologe massakrierte am Samstag, den 14. Mai 2022 in Buffalo im Staate New York 10 Menschen, alle Opfer waren Schwarze. Er erschoss sie mit einem Sturmgewehr, das er legal gekauft hatte. Er hatte sich gezielt einen Stadtteil mit der größten schwarzen Bevölkerung ausgesucht, was er mit einer Postleitzahl-Suche (ZIP-Code) hinbekam. Er wollte aus rassistischen Motiven gezielt Schwarze ermorden. Seine Motivation war rassistisch und antisemitisch grundiert: die “Great Replacement” Theorie, die sich stark an dem französischen rechtsextremen Publizisten Renaud Camus orientiert, der 2011 ein Buch geschrieben hat mit dem Titel “Le Grand Remplacement”. Diese These braucht gar nicht in jedem Fall einen antisemitischen Plot, da es den Rezipient*innen klar ist, dass es darum geht, dass hinter der Migration böse Mächte stehen. Das ist sozusagen die dog whistle, die Hundepfeife, die Antisemiten hören, wenn man vom “großen Austausch” redet.

Amerikanische Journalisten im Mainstream wie bei FoxNews haben seit Jahren diese Art von antisemitischer Verschwörung und rassistischer Klimaverschärfung gepredigt, wie Tucker Carlson:

“I know that the left and all the little gatekeepers on Twitter become literally hysterical if you use the term ‘replacement,’ if you suggest that the Democratic Party is trying to replace the current electorate of voters now casting ballots with new people, more obedient voters from the Third World,” a visibly outraged Carlson began.

Die Strippenzieher und Verantwortlichen für diese im Neonazi-Sprech “Umvolkung” sind nun für den 18-jährigen Neonazi aus Amerika die Juden. Er hat ein 180-seitiges Manifest publiziert, worin es u.a. heißt:

Es ist der Antisemitismus, der hinter der Verschwörungsideologie vom “großen Austausch” steckt. Jüdische Milliardäre und Aktivisten stünden hinter NGOs, die Migrant*innen oder Muslime nach Europa oder Nordamerika schleusten, das ist der Kern dieser rechtsextremen Verschwörungserzählung. Auch der Mörder von Pittsburgh in der Synagoge oder jener Neonazi in Neuseeland glauben an diese antisemitische Verschwörungsideologie mit rassistischen Konsequenzen (Ethnopluralismus und „Balkanisierung für Jedermann“ oder: Ein neu-rechtes Massaker an Muslimen in Neuseeland – Wieviel Henning Eichberg, Renaud Camus und Götz Kubitschek steckt in dem Neo-Nazi-Massenmörder in einer Moschee von Christchurch vom 15. März 2019?“).

Dazu kommt die Bedrohung durch BDS und jene sicher super smarten Forscher*innen wie an der Universität in Kanada, an der Nati Pressmann studiert, die die Antisemitismus-Definition der IHRA mit großer Mehrheit ablehnen.

Im Gegensatz zu älteren Rabauken wie dem New York Times Kolumnisten Bret Stephens, der damals gemeinsam mit Bari Weiss Kolumnist der New York Times wurde und gleich zu Beginn seine Zweifel am menschgemachten Klimawandel kundtat, hat die junge Generation Z wie Zack Singerman auch ein Verständnis für die Klimakatastrophe, wie er als Zehntklässler 2021 schreibt:

It seems even more urgent now. I am tired of waiting for adults to take a stronger stand. Just like climate change and stopping school shootings, Gen Z needs to get involved in the fight against white supremacy and antisemitism. It’s not just that it’s urgent. It’s that it already feels two months — or two years — too late.

In diesem Text geht Singerman auf den von Donald Trump angefeuerten Sturm von Nationalisten und Rechtsextremisten auf das Kapitol am 6. Januar 2021 ein, da er nur 30 Minuten zu Fuß entfernt aufwuchs und seine Mutter dort arbeitet.

Wir sehen also, wie groß die Bedeutung der IHRA Antisemitismus-Definition heutzutage ist.

Es bleibt viel zu tun für die Gesellschaften in Nordamerika oder Europa wie auch für die Generation Z im Kampf gegen Antisemitismus. Junge jüdische Schüler*innen und Studierende sollte dabei nicht alleine gelassen werden.

Blätter für deutschen und internationalen Antisemitismus?

Von Dr. phil. Clemens Heni, 05. Februar 2020

Die Zeitschrift „Blätter für deutsche und internationale Politik“ ist eines der bekanntesten politischen und politikwissenschaftlichen Periodika im deutschsprachigen Raum. Wer ein Public Intellectual ist oder meint zu sein und sich irgendwie als „aufgeklärt“, „liberal“ oder „links“ versteht, publiziert dort. Nicht weniger als 22 Personen gehören zum „Herausgeberkreis“, von Katajun Amirpur über Jürgen Habermas und Seyla Benhabib hin zu Dan Diner, Claus Leggewie und Micha Brumlik reicht die typische Palette, angeführt von Albrecht von Lucke und der Redaktion. Die Themen reichen von Rechtsextremismus über Kapitalismus zu Ökologie, Philosophie und Antisemitismus in der DDR.

Doch wie so oft, wird es schwierig, sobald es um Juden und den Zionismus geht. Klar wird in den Blättern an die toten Juden der Shoah erinnert. Aber wie steht die Zeitschrift zu den lebenden Juden in Israel? Das zeigt sich exemplarisch in der Februar-Ausgabe 2020 der Blätter. Dort schreibt Lothar Zechlin über „Israelkritik gleich Antisemitismus?“.

Der 1944 geborene Zechlin war Professor für Öffentliches Recht und Hochschulmanager, er wäre vor einigen Jahren um ein Haar Präsident der Hochschulrektorenkonferenz geworden und unterlag in einer Stichwahl. Zu seinen Publikationen gehören „Minderheitenschutz im deutschen und französischen Aktienrecht“, „Streik, Strafrecht, Polizei. Juristischer Leitfaden für Konflikte mit der Staatsgewalt“ oder „Understanding and developing your role as a leader“ bis hin zu „Schadensersatzansprüche bei Klassenfahrten“. Als Publizist zu Antisemitismus oder Antizionismus ist Zechlin bislang nicht in Erscheinung getreten.

Zechlin geht es um die Arbeitsdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA), einem Zusammenschluss von derzeit 34 Staaten, die sich auf folgende Definition verständigt haben:

Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort und Tat gegen jüdische oder nicht-jüdische Einzelpersonen und / oder deren Eigentum, sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen und religiöse Einrichtungen.

Das nennt Zechlin „konturlos“. Dass sich also 34 führende Industrienationen und weitere Länder hinter diese Definition stellen, sei „konturlos“ – was ist mit den anderen gut 160 Staaten, die nicht zur IHRA gehören und für die der Hinweis auf Hass gegen Juden kein Problem darstellt, oder gar Freude evoziert? Die Indifferenz der Weltgemeinschaft war schon während des Holocaust katastrophal. Was bringen all die warmen Wort des Gedenkens, wie sie gerade von solchen Blättern kommen, wenn die lebenden Juden hier und heute im Stich gelassen werden?

Der Bundestag würde nun mit seiner Anti-BDS-Resolution von Mai 2019 die IHRA Definition gar „verfälschen“, wie die Blätter insinuieren, und Hass auf Israel als Form von Antisemitismus aufnehmen:

Erscheinungsformen von Antisemitismus können sich auch gegen den Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, richten.

Das ist jedoch keine Verfälschung, sondern nur eine Konkretisierung der IHRA Definition, die ja ganz absichtlich und nach vielen Jahren der Diskussion diesen Zusatz wie weitere Beispiele anfügte.

Geradezu zynisch schreibt Zechlin:

Die Nahost-Expertin Muriel Asseburg von der Stiftung Wissenschaft und Politik stellt dazu fest: ‚Einzelne Vertreter dieser Bewegung [BDS] dürften von Judenhass motiviert sein und manche Aktionen können auch problematisch sein. Das entspricht aber nicht dem Mainstream dieser Bewegung‘.

So wird antisemitische Alltagsgewalt entwirklicht oder affirmiert. Zudem wird nicht der wissenschaftlichen Definition gefolgt, die die Ablehnung jüdischer Souveränität, den heutigen Antizionismus, als antisemitisch definiert. Es ist ein Unterschied ums Ganze, ob jüdische Gruppen vor der Shoah und vor 1948 antizionistisch waren oder nach der Gründung des jüdischen Staates. Wer heute antizionistisch ist, nimmt die Zerstörung Israels und den Tod von Juden billigend in Kauf. Sodann führen die Blätter aus:

…dürfte sich die Unterstützung in aller Regel auf das nichtantisemitische Programm und nicht einzelne Exzesse beziehen.

Lothar Zechlin weiß also, dass sich BDS-Unterstützer*innen „in aller Regel“ auf das „nichtantisemitische Programm“ von BDS beziehen und „nicht“ auf „einzelne Exzesse“. Er hat jedoch überhaupt nicht definiert, dass das geforderte Rückkehrrecht, also das Programm von BDS, antisemitisch ist, weil es völkerrechtlich jüdische Souveränität in einem eigenen Staat ablehnt. In einer Fußnote hat der 75jährige Autor sich abgesichert und autoritär gesetzt, dass Judenhass kein Judenhass ist, wenn er sich „nur“ gegen den Staat der Juden richtet:

Selbst wenn man die Forderung nach Rückkehrrecht und staatsbürgerlicher Gleichheit der Palästinenser als Bedrohung der Existenz Israels als eines jüdischen Staates ansieht (was zu diskutieren wäre), handelte es sich um einen nicht aus Judenfeindlichkeit gespeisten Antizionismus.

Der BDS-Mitbegründer Omar Barghouti wendet sich konstant gegen Israel als jüdischer Staat, erst vor wenigen Monaten wieder in einem Leserbrief an die New York Times: Er möchte einen Staat für Juden und Araber und lehnt den Zionismus und den “jüdischen Staat” kategorisch ab. Das ist antisemitisch. Das ist BDS. Barghouti schreibt am 24. April 2019:

As the philosopher Joseph Levine has written, ‘The very idea of a Jewish state [in Palestine] is undemocratic, a violation of the self-determination rights of its non-Jewish citizens, and therefore morally problematic.’

Das ist auch die Position der Philosophin Judith Butler, die jüngst von der Barenboim-Said Akademie eingeladen wurde, wobei die Veranstaltung dann doch angeblich aus “organisatorischen Gründen” abgesagt wurde, aber die Intention spricht Bände und die Diskussion mit Butler soll nachgeholt werden. Dabei wird Butlers völlige Ablehnung des Zionismus in Israel auch von solchen Autoren völlig zu Recht attackiert, die selbst Kritik am gegenwärtigen Zustand des Landes haben, aber sehen, dass die Ablehnung des jüdischen Staates an und für sich zu gar keiner Verbesserung führen wird – dafür Juden in Gefahr bringt.

Eine der bedeutendsten NGOs im Kampf gegen Antisemitismus ist die Anti-Defamation League (ADL) aus den USA. Sie definiert ganz eindeutig, dass es nicht anitsemitisch ist, Israel oder jedes andere Land zu kritisieren. Es ist aber sehr wohl antisemitisch, den “jüdischen Staat” als solchen abzulehnen:

Is criticism of Israel always anti-Semitic?

No. Anti-Israel activity crosses the line to anti-Semitism when:

All Jews are held responsible for the actions of Israel.

Israel is denied the right to exist as a Jewish state and equal member of the global community.

Traditional anti-Semitic symbols, images or theories are used.

Eine Kritik an der Besatzung des Westjordanlandes gibt es seit 1967 – eine Kritik aus zionistischer Perspektive wie von Amos Oz. BDS hingegen übt keine Kritik an der Politik Israels. BDS und zwar jeder einzelne BDS unterstützende Mensch, möchte Israel als jüdischen Staat zerstören, denn das ist das Programm von BDS, egal wie diese oder jener persönlich das Programm interpretiert, es ist objektiv antisemitisch – eine subjektiv antisemitische Haltung kommt bei vielen noch hinzu.

Zechlin macht sich nicht mal die Mühe Barghoutis ablehnende Haltung gegenüber dem jüdischen Staat zu erwähnen. Diese ignorante oder unwissenschaftliche Herangehensweise ist jedoch nicht nur den Blättern für deutsche und internationale Politik vorbehalten, sie ist Mainstream unter jenen Forscher*innen, Politiker*innen und Aktivist*innen, die den Anti-BDS-Beschluss des Deutschen Bundestages bekämpfen.

Dass die Blätter für deutsche und internationale Politik, die Crème de la Crème des deutschen sozial- und geisteswissenschaftlichen Establishments, sich so offen und aggressiv gegen die Anti-BDS-Resolution des Deutschen Bundestags stellt, sagt alles über die politische Kultur und Situation für Juden und Israel in diesem Land. Es gibt eine ganz dünne Schicht von seriösen Politiker*innen, Journalist*innen, Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen, darunter jedoch brodelt die Lava der antiisraelischen Elite Seite an Seite mit dem immer abrufbaren Mob (“Jude, Jude, feiges Schwein, komm heraus und kämpf allein”, wie es zumal muslimische und arabische Hetzer*innen herausbrüllen).

 

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