Mitgliedsnummer 1884319

Dieser Artikel erschien zuerst auf Achse des Guten.

In einem Interview mit der Berliner Zeitung sagt Wolfgang Benz am 25.01.2010:

„Mein Doktorvater war als junger Mensch offensichtlich in der NSDAP. Als er 1947 habilitierte und wenig später einen Lehrstuhl bekam und mich 1965 als Doktorand annahm, da war er nun wirklich kein Nazi, sondern ein hochangesehener liberaler Gelehrter. Und wenn jetzt irgendein Dummkopf auf die Idee kommt, ich hätte bei einem Nazi studiert und NS-Gedankengut aufgeschnappt, dann ist das einfach nur perfide.“

Nun, Benz fantasiert wenn er insinuiert, es sei gesagt worden, er selbst habe „NS-Gedankengut aufgeschnappt“. Das hat bislang niemand behauptet. Das Interview in der BZ zeigt jedenfalls klar, dass Benz bis heute kein Problem mit Karl Bosl hat, ja das Wort „offensichtlich“ scheint geradezu anzuzeigen, dass Benz überhaupt keine Ahnung über die intensive Nazi Vergangenheit seines eigenen verehrten Doktorvaters hat. Benz beschimpft mich als „irgendein[en] Dummkopf“. Eine souveräne, seriöse Reaktion auf wissenschaftliche Kritik hört sich anders an.

Wer war Karl Bosl (1908-1993)? Noch 1990 in einem langen Interview, sagte er „Ich war nirgends dabei, damals“. Diese Lüge ist offenbar, trug er doch die NSDAP Mitgliedsnummer 1884319, wie die Historikerin Anne Christine Nagel 2005 in ihrer Habilitationsschrift schreibt. Benz sollte also zugeben, dass sein Doktorvater gelogen hat. Das ist Punkt eins.

Punkt zwei geht weit darüber hinaus: Bosl war nicht nur Mitglied der NSDAP, vielmehr auch der SA, sowie des Nationalsozialistischen Lehrerbundes (NSLB), später, 1938, bewarb sich Bosl beim berüchtigten Ahnenerbe der SS und dessen Projekt „Wald und Baum in der arisch-germanischen Geistes- und Kulturgeschichte“.

Bosl wurde mit ca. 100 Reichsmark monatlich (so die Durchschnittsbezahlung) von der SS bezahlt, nachdem der Sicherheitsdienst (SD) ihn für einen guten und im Sinne des Nationalsozialismus forschenden Historiker eingestuft hatte. Der Historiker Bernd-A. Rusinek publizierte zu Bosl im Jahr 2000 und kritisierte die ‚Treue‘ Bosls zu Hitler und dem Nationalsozialismus, weil der damals 36jährige Karl Bosl noch am 16. und 17. Januar 1945 im Geburtshaus des „Führer“ in Braunau am Inn an einer Tagung von Historikern teilnahm.

Sich mit diesen Fakten gerade als Leiter eines Zentrums für Antisemitismusforschung über die Jahrzehnte hinweg nicht zu befassen, indiziert ein Versagen.

Bosl promovierte und habilitierte bei Karl Alexander von Müller, und rühmte sich dessen in einem Brief an die SS im Jahr 1942. In der Tat: Von Müller war nicht nur gut bekannt mit Hitler seit den frühen 1920er Jahren, sowie aktiv im direkten Umfeld des Hitler-Putsches vom 9. November 1923 (er war ein Freund von Theodor von der Pfordten), er protegierte in der Weimarer Republik auch antisemitische Akademiker wie Walter Frank, der 1927 bei von Müller über den antisemitischen Hofprediger Adolf Stoecker promovierte.

Am 19. November 1936 eröffnete Frank die „Forschungsabteilung Judenfrage des Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschlands“ an der Universität in München, von Müller hielt eine Ansprache und lobte einen „wissenschaftlichen Wettbewerb“ zu der Frage „die Geschichte des Hofjuden-Systems“ aus. Dieses Institut trug auf seine Weise zum späteren Holocaust bei. Ungefähr zu dieser Zeit, Ende 1936, wurde Karl Bosl Doktorand bei Karl Alexander von Müller, bei dem er wenig später promovierte (mündliche Prüfung am 23. Juni 1938). 1964 gab Bosl eine mit enthusiastischen Dankesworten gespickte Festschrift zum 80. Geburtstag für von Müller am 20. Dezember 1962 heraus. Seilschaften nennt man das.

Punkt drei: Am 12. Mai 1964 sprach Karl Bosl in Nürnberg im Rahmen des „Sudetendeutschen Tages“ über „Nürnberg – Böhmen – Prag“ und beschuldigte die Tschechoslowakei einer „radikalen Endlösung des deutschen ‚Problems‘ nach hitlerschem Modell“. Dieser Vortrag wurde vor dem damals vom Bundesministerium des Innern als rechtsextrem eingestuften „Witikobund“ gehalten und auch im Eigenverlag des Witikobundes e.V. gedruckt. 1965 wurde Wolfgang Benz Doktorand bei Karl Bosl und ehrte seinen Doktorvater sowohl 1983 als Teil einer umfangreichen Tabula Gratulatoria, als auch 1988 in einer zweibändigen Festschrift mit einem Beitrag.

Die drei erwähnten Gesichtspunkte zeigen Folgendes: Spätestens als die Geschichtswissenschaft anfing, sich intensiver mit den Biografien deutscher Historiker im Nationalsozialismus zu befassen, wie auf dem Historikertag 1998, hätte auch Benz anfangen müssen, seinen eigenen Doktorvater zu hinterfragen. Was hat Benz zwischen 1965 und 2010 bezüglich Karl Bosl erforscht, wo doch bis in die jüngste Vergangenheit Veranstaltungsplakate in ihren kurzen Ankündigungstexten damit werben, Benz habe 1968 bei Karl Bosl promoviert, so als sei das eine besonders erwähnenswerte Leistung?

Karl Bosl war im Alter von 24 bis 36 aktiver und engagierter Nationalsozialist. Bis zu seinem Tode hat er das verleugnet. Benz spricht davon, Bosl sei als „junger Mensch“ NSDAP Mitglied gewesen. Das ist eine Falschaussage. Als „jung“ gilt gemeinhin ein Mensch bis zum Alter von 21 Jahren. Doch im Alter von 36 Jahren NSDAP-, SA- und NSLB- Mitglied zu sein, sowie kurz zuvor in einem Projekt der SS mitgearbeitet zu haben und im Geburtshaus des Führer eine akademische Tagung mitmachen, wenige Tage bevor die Rote Armee Auschwitz befreite, ist Beweis genug, zu sagen, dass Karl Bosl ein völlig überzeugter und aktiver Nationalsozialist war bis 1945, wenigstens.

Wie „liberal“ (so Benz) war Karl Bosl in den 1960er Jahren, wenn wir uns seine Aktivitäten im rechtsextremen und antisemitischen Witikobund dieser Zeit näher anschauen? Die Rede von einer „Endlösung“ des „deutschen Problems“ von Bosl im Jahr 1964 ist typisches Muster der Schuldprojektion: die wirkliche „Endlösung“, die Shoah, wird auf die Opfer, hier auf die von den Deutschen annektierte Tschechoslowakei, übertragen und den Opfern die gleichen Methoden der Vernichtung von Menschen vorgeworfen wie Hitler. Das ist eine Schuldprojektion und Schuldabwehr, beides typische Muster des sogenannten „sekundären Antisemitismus“, eigentlich ein Aufgabenfeld des ZfA mithin. Benz schweigt.

Benz sieht sich selbst als Opfer von „Hass“, ein Indiz, dass er mit Kritik nicht angemessen, selbstkritisch oder wissenschaftlich umgehen kann. Mittlerweile wird Benz auch von bekannten Kollegen wie den deutsch-jüdischen Historikern Prof. Julius H. Schoeps vom Moses Mendelssohn Zentrum in Potsdam oder Prof. Michael Wolffsohn von der Universität der Bundeswehr in München in Frage gestellt. Schoeps wirft er vor, dieser könne nicht richtig lesen.

Ich frage mich, was die wissenschaftlichen Angestellten, Assistenten, Projektmitarbeiter und Kollegen am ZfA wissenschaftlich tagtäglich tun. Offenbar haben weder Bergmann, noch Wetzel, Königseder, Widmann, Mihok, Kohlstruck, Baganz, Körte, Schooman oder Haar je mit Benz über dessen Nazi Doktorvater gesprochen. Dabei wurden doch auch im geschichtswissenschaftlichen Mainstream, dem Internet-Portal H-Soz-Kult, längst kritische Fragen zu Bosl gestellt. So wunderte sich die Historikerin Adelheid von Saldern im Jahr 1999 in einem Interview, warum denn niemand kritisch nachforsche, was Karl Bosl  im NS gemacht hat, es sei zumindest sehr auffällig und verdächtig, dass Bosl im Jahr 1964 die erwähnte Festschrift für Karl Alexander von Müller herausgab. Darüber hinaus hat auch der Historiker Rusinek auf H-Soz-Kult im Jahr 2003 in einer Rezension gefragt, warum in einem Personenlexikon zum Nationalsozialismus der Name Karl Bosl immer noch fehle. Alles Hinweise, sich mit diesem Mann näher zu befassen, doch das ZfA versagt auch an diesem Punkt, obwohl es doch jüngst erst ein Handbuch des Antisemitismus, Band 2 Personen, publiziert hat.

Offenbar beleidigt Benz lieber Kritiker als „Dummkopf“, anstatt sich mit der Geschichte des Antisemitismus, Nazismus und Rechtsextremismus seines eigenen, „verehrten“ Doktorvaters Karl Bosl zu befassen.

Dr. phil. Clemens Heni ist Politikwissenschaftler und Autor. Zuletzt publizierte er das Buch „Antisemitismus und Deutschland. Vorstudien zur Ideologiekritik einer innigen Beziehung“