Wissenschaft und Publizistik als Kritik

Monat: Februar 2009

Trizonesien, Kölner Karneval und Antisemitismus 1949-2009

„Trizonesien“ revisited, oder 60 Jahre sekundärer Antisemitismus in Köln

Von Dr. Clemens Heni, Yale Initiative for the Interdisciplinary Study of Antisemitism (YIISA), Yale University

60 Jahre Bundesrepublik Deutschland, das ist für viele ein runder Geburtstag und Anlass zurück zu schauen. So auch in Köln zum Karneval. Extra wird dieses Jahr ein Wagen des Kölner Karneval von 1949 nachgebaut – „Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien“. Dieser berühmte bzw. bekannte und von den damaligen Deutschen gern gesungene Marsch-Foxtrott „Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien“ hat es in sich. Nachdem es von 1940 bis 1948 keinen Karneval in Köln gegeben hatte, gab es 1949 eine „erweiterte Kappenfahrt“, was noch keinen Rosenmontagszug darstellte: „Meer sin widder do un dun war meer künne“.

Während der Wagen leichtfüßige Insulaner zeigt, welche irgendwie lustig dahinleben, Würstchen kochen, fischen und musizieren, tanzten Karnevalisten 1949, verkleidet als „Eingeborene“, mit dunkler Farbe auf dem Körper, auf den Straßen Kölns umher. Der WDR hat dazu Filmmaterial. Der Song jedoch wird auch heute noch offenbar gern goutiert. Was ist der Inhalt?

Vers 1 „Mein lieber Freund, mein lieber Freund, die alten Zeiten sind vorbei, ob man da lacht, ob man da weint, die Welt geht weiter, eins, zwei, drei. Ein kleines Häuflein Diplomaten macht heut die große Politik, sie schaffen Zonen, ändern Staaten (…) Vers 3 Doch fremder Mann, damit du’s weißt, ein Trizonesier hat Humor, er hat Kultur, er hat auch Geist, darin macht keiner ihm was vor. Selbst Goethe stammt aus Trizonesien, Beethovens Wiege ist bekannt. Nein, sowas gibt’s nicht in Chinesien, darum sind wir auch stolz auf unser Land. Refrain: Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien, Hei-di-tschimmela- tschimmela-tschimela-tschimmela-bumm! Wir haben Mägdelein mit feurig wildem Wesien, Hei-di-tschimmela-tschimmela-tschimmela- tschimmela-bumm! Wir sind zwar keine Menschenfresser, doch wir küssen um so besser. Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien, Hei-di-tschimmela- tschimmela-tschimmela-tschimmela-bumm!“

Dieser Song wurde 1948/49 mitunter als Nationalhymne gespielt, etwa bei Sportveranstaltungen, und war der Hit des Karneval 1949 in Köln. Der Songtexter Klaus Berbuer, welcher schon vor 1945 im NS-Staat ‚Unterhaltung‘ gemacht hat, ist eine bekannte Person, ihm wurde vor einigen Jahren in Köln ein Denkmal aus Bronze gewidmet. Der Musikwissenschaftler Fred Ritzel hat vor einigen Jahren in der Zeitschrift Popular Music den Trizonesien Song seziert und stellt die Frage, ob es zu gewagt sei, in der „obskuren Fremdheit“ „Chinesiens“ eine Referenz auf die Juden sehen zu wollen. In der Tat: Der Antisemitismus scheint im Reden von „Chinesien“, das im Gegensatz zu „Trizonesien“ keine „Kultur“ und keinen „Geist“ kenne, unschwer wider. In dem Trizonesien-Song, der natürlich auf die westlichen Besatzungszonen damals anspielt, wird auch lamentiert, dass „Diplomaten“ einfach Staaten änderten und „Zonen“ schufen. Die Deutschen nicht als konkrete Täter, von denen noch Hunderttausende munter lebten, 1949, vielmehr als Opfer und Gegängelte solcher Diplomaten zu sehen, ist zentral. Ein solches Lied bzw. den dazugehörigen Wagen nun heute, munter-fröhlich, quietsch fidel lachend zu feiern, als Auftakt zur BRD, ist so schamlos wie bezeichnend. Das stolze Deutschland feiert sich heute, 2009. Der Auftakt im Jahr 1949 war ein Karnevalsumzug mit genau jenem schuldvergessenden, ja Schuld derealisierenden und projizierenden Song. Die Deutschen haben sich 1949 als „Kolonisierte“ arme Würstchen dargestellt, aber eben auch als Küsser und nicht als Menschenfresser.

Dabei war die vorübergehende Besatzung Deutschlands ja noch sehr zuvorkommend. Der Soziologe Helmuth Plessner hatte eine ganz andere, interessante Idee: verteilt die deutschen Landen an die Nachbarländer Dänemark, Frankreich, Holland etc. etc.

1949: Vier Jahre nach der Befreiung von Auschwitz, vier Jahre nach den Todesmärschen durch ungezählte Dörfer, Weiler und Städte im ‚Deutschen Reich‘, vier Jahre nach der Heimkehr der Polizeibataillonsmitglieder, die millionenfach Juden ‚aufspürten‘, zusammen trieben und erschossen, vier Jahre nach all diesem Unaussprechlichen mit seinen ganz konkreten deutschen Tätern und Täterinnen, natürlich auch solche aus der Domstadt, dichtet sich dieses Land ein solches Lied. Erinnerung an die präzedenzlosen Verbrechen der Shoah wird abgewehrt. Die Forschung nennt diesen Prozess ‚sekundärer Antisemitismus‘. Stolzdeutsch Beethoven, Goethe und das Küssen hervorzuheben und explizit zu behaupten, die Deutschen des Jahres 1949 seien keine „Menschenfresser“, ist infam und schlägt jedem überlebenden Juden eiskalt ins Gesicht, im Februar 1949. Eine stattliche Zahl der Zuschauer des Umzuges von 1949 in Köln wird sehr wohl am Holocaust beteiligt gewesen sein, oder am unfassbar brutalen Krieg „im Osten“ gegen die Sowjetunion, wo allein im damaligen Leningrad aufgrund der Blockade der Wehrmacht fast eine Million Menschen elendig verhungert ist. Das Wort ‚zynisch‘ ist gar nicht ausreichend, um diesen ach so lustigen Ausdruck „Wir sind zwar keine Menschenfresser“ zu bezeichnen. Und als ob das noch nicht reichte, kommt noch der koloniale Blick der Europäer hinzu, der ohnehin davon ausgeht, dass irgendwelche Insulaner in der Südsee Menschenfresser seien, während die deutschen Inselbewohner in Trizonesien gerade keine seien.

2009 wiederum wird all das nicht gebrochen, reflektiert und kritisiert, sondern geklatscht. Ein grandioser Auftakt zu 60 Jahre Bundesrepublik. Lernen aus der Geschichte sieht anders aus.

What is considered extremist in today’s Germany?

This article was originally published with the Jerusalem Post on February 9, 2009

Recent events demonstrate the relationship of German political culture today to anti-Semitism. On the one hand, one is not allowed to deny the Holocaust, as Catholic Bishop Richard Williamson found out. Chancellor Angela Merkel herself told the German pope in the Vatican that such an anti-Semite, member of the reactionary Pius X Brotherhood, could not be tolerated. Just a few days later, Iranian government spokesman Gholam Hossein Elham called the Holocaust “a big lie to settle a rootless regime in the heart of the Islamic world.”

That weekend, moreover, Iranian Parliament Speaker Ali Larijani was invited to join the International Security Conference in Munich, where he said on Friday there were “different views of the Holocaust. I will say: It did not happen.” Was there any outrage in the case of the Iranians as there was in that of Bishop Williamson? German journalist Malte Lehming of the daily Tagesspiegel explained that Holocaust denial and genocidal hatred is not allowed if it derives from the Western world, like British Williamson. If Muslims do the same thing, nothing happens. This hypocrisy paradigm applies particularly – but not only – to today’s Germany. If Arabs, other Muslims and their German friends scream “Death to the Jews,” or “Israel – children killer”, that’s fine. If two lonely guys stick an Israeli flag in a bedroom window on a street where such anti-Semites pass, the police react immediately and confiscate the flag. That’s what happened in the city of Duisburg on January 10.

In an interview with the Ruhr-Nachrichten newspaper, the head of the Verfassungsschutz (protection of the constitution) in the German Federal Land North Rhine-Westphalia, Hartmut Müller, accused a group of so-called “anti-Germans” of being a dangerous element, “extremists”. Those particular anti-Germans are otherwise known as friends of Israel and the US. Is it extremist to wave an Israeli flag in Germany today when more than 10,000 Palestinians and their friends shout “Death to the Jews” or similar slogans and burn an Israeli flag?

According to a recent BBC poll, Germany holds the most negative views of Israel among Western countries surveyed, with 9 percent seeing the Jewish state as “mainly positive” and 65% as “mainly negative” (compared with 47% positive and 34% negative in the US.) TO DISCUSS these frightening numbers, the B’nai B’rith of Berlin in cooperation with the American Jewish Committee Germany planned a panel discussion last Sunday on anti-Semitism and possible ways to fight it.

The event did not materialize, firstly because Prof. Wolfgang Benz, director of the Berlin Center for Research on Anti-Semitism, refused to be on the same panel as well known German-Jewish journalist Henryk M. Broder. Broder had criticized a conference hold by the center last December in which “Islamophobia” was compared to historical anti-Semitism. A newsletter of the center in January called the criticism of its Islamophobia conference in Haaretz and The Jerusalem Post “a torrent of hatred.”

In the end AJC chairwoman Deidre Berger also cancelled her participation in the panel. Germany witnessed probably the biggest anti-Jewish rallies since 1945 during the Gaza war. Meanwhile research centers keep silent, refusing even to discuss such events with Jewish journalists, focusing instead on “Islamophobia.” Why? Are Muslims threatened on German streets by Jewish gangsters screaming, “Death to all Muslims?” The reality is the opposite, yet no one is listening. Scholars are to take a wait and see attitude as to whether Iran is really dangerous. Germans (and Austrians) prefer to deal with dead Jews. In that, they are really experienced.

The writer is a post-doctoral researcher at the Yale Initiative for the Interdisciplinary Study of Anti-Semitism at Yale University, and has just published his second book Anti-Semitism and Germany: Preliminary Studies of a ‘Heartfelt Relationship’ (in German).

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